Lebensbilder II (German Edition)
aber ein Fensterlein in der zweiten Etage: es erschien eine weiße, zierliche Hand, welche das Fenster befestigte, und bald darauf ein herrliches Madonnaköpfchen, eben vom süßen Schlafe erwacht, wie die höher geröteten Wangen und die noch in Träumen schwelgenden Augen verrieten. Die jugendlichen Formen von Hals und Brust, die Weiße und Frische der Haut standen in einem gar seltsamen Kontraste mit dem altertümlichen, schwarzen Gemäuer, aus welchem sie hervorblickte. Sie schaute mit ihren himmelblauen Augen erst gen Himmel, dann über die Nachbarsdächer, zuletzt ließ sie dieselben, wie aus Gewohnheit, nieder zur Erde sinken und errötete, weil sie dem Fremden im Nachthäubchen und Nachtgewande sich zeigte. Hastig verbarg sie sich und machte das Fenster wieder zu. So verbirgt sich der herrliche Morgenstern plötzlich hinter einer Wolke.
Jetzt öffneten sich die Riegel des Hauses, die Türe drehte sich kreischend in ihren Angeln, ein grauer Pförtner trat hervor, entfaltete ein viereckiges Stück Tuch, worauf noch einmal mit gelber Seide die klassische Firma: »Guillaume, Karls Nachfolger,« gestickt war.
Der Diener zog sich zurück, und Herr Guillaume trat hervor, besah sich ernsthaft die ganze Straße, ob sie auch während seines Schlafes sich nicht verändert, nahm endlich den Fremden wahr und sah ihn an. – Dieser, der Vergeltung halber, sah ihn wieder an, und wir müssen untersuchen, wer von beiden am meisten Recht dazu hatte.
Wie der Jüngling ungefähr aussah, wissen wir. Der wohlbeleibte Herr Guillaume aber trug einen karrierten Schlafrock, karrierte Beinkleider und eine karrierte Mütze; er hatte glattgestrichene, greise Haare, kleine, funkelnde Augen und im Gesichte so viel Runzeln, als ein Fächer Falten hat.
Er hielt auf kaufmännische Sitten, wie die wilden Völker auf ihre Traditionen, war als Hausherr der erste im Hause auf den Beinen und schalt mit allen, die nicht zur rechten Zelt auf dem Platze waren.
Die Ladendiener erschienen endlich ebenfalls, und der Älteste derselben, welcher bemerkt hatte, wie sein Prinzipal und der Fremde sich mit Blicken bekämpften, trat plötzlich über die Schwelle, blickte zum zweiten Stockwerk empor nach eben dem Fensterlein, aus welchem das schöne Mädchen hinausgeschaut, und betrachtete den Fremden hierauf wieder mit argwöhnischen Zügen. Dieser hielt es endlich für geraten, sich zu entfernen: er rief einen Fiaker an, den er hastig bestieg und im Innern desselben verschwand. Herr und Diener beruhigten sich wieder.
»Nun,« begann jener, »was steht Ihr und legt die Hände in den Schoß, das gilt hier nichts! Da ich noch bei Chevral diente, hatte ich um diese Stunde schon ein ganzes Stück Tuch nachgesehen.«
»Damals ward es wohl früher hell,« brummte der zweite Kommis, der dies Geschäft zu versehen hatte.
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Um die ganze Bedeutung jenes Auftrittes zu erklären, sehen wir uns genötigt, auf eine frühere Zeit zurückzugehen.
Ein junger Maler, dessen Arbeiten bereits mehrmals den Preis gewonnen, und der sich dadurch schon ein bedeutendes Renommee erworben halte, war aus Rom nach seiner Vaterstadt Paris zurückgekehrt. Seine Seele, trunken von Raffaels und Michel Angelos Meisterwerken und Heimat, strebte besonders danach, weibliche Ideale zu erschaffen: minder aber schwebten ihm die leidenschaftlich ausgebildeten italienischen Muster vor, als vielmehr die sanften, anmutsvollen, ergebenen Gestalten, welche sich um so seltener finden, weil Schönheit und Anspruchslosigkeit nicht häufig beieinander getroffen werden.
Eines Abends jedoch, als ihn der Weg vor der ballspielenden Katze vorbeiführte, blieb er erstaunt vor einem Anblick stehen, der seinem Künstlerauge sich darbot.
Das dunkle Magazin bildete einen schwarzen Vordergrund, hinter demselben war der Speisesaal erleuchtet. Eine Astrallampe verbreitete ein reizendes Licht, wie man auf niederländischen Gemälden oft findet, das schweeweiße Gedeck, das Silberzeug, die Kristallflaschen und Gläser vereinten sich zu einem seltenen Spiel von Licht und Farben. Der ehrwürdige Familienvater, die essenden Ladendiener, die Mutter und Töchter, vor allem aber die Hauptfigur, Augustinens himmlische Gestalt, und neben ihr eine wohlbeleibte Wirtschafterin, bildeten die malerischste Gruppe, daß der Künstler glaubte, kein herrlicheres Bild je schaffen zu können, als die Wirklichkeit ihm hier bot, ohne alle Zutaten der Phantasie.
Augustine nahm wenig teil an den gemütlichen Gesprächen wie
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