Lebenselixier
meiner Mutter
gewohnt. Jeremias starrte uns beide nur eine Weile an. Dann legte er die Hand
auf Arnes Stirn, und ich wusste, dass er seine Gedanken las. Als er davon genug
hatte, sagte er, Arne könne sich glücklich schätzen, dass er so ein begnadeter
Telepath sei. Sonst hätte er ihm den Kopf abgerissen und dem Spuk ein Ende
gemacht. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass Jeremias es ernst meinte. Arne
war damals noch ein Jungspund, musst du wissen, grade mal fünfzig Jahre alt.
Später hörte ich, dass Joseba sich bereit erklären musste, seine Jäger nach
getaner Arbeit wieder abzuziehen, um mit den Voudou-Priestern Frieden zu
schließen“, fuhr Samantha fort. „Das muss Jeremias hart angekommen sein. - Denk
also bloß nicht, es wäre eine gute Sache, wenn deine Leute Bescheid wissen.“
Lukas erklärte
sich bereit, mit Danilo, Samanthas und Arnes Sohn, Fußball zu spielen. Tony
verfolgte fasziniert, wie die beiden Bluttrinker diesen Sport interpretierten.
„Das ist unglaublich“, murmelte sie, während Danilo und Lukas in irrsinniger
Geschwindigkeit über die von alten Bäumen gesäumte Wiese flitzten, die das
restaurierte Bauernhaus umgab. Sie führten mühelos mehrere Meter hohe Sprünge
aus und droschen den Lederball mit solcher Wucht durch die Luft, dass Tony den
Kopf einzog, in der festen Erwartung, der Ball würde platzen. Arne gesellte
sich zu ihnen an den Tisch. Er beobachtete das Spiel mit offensichtlicher
Zufriedenheit.
„Deine List hat
also funktioniert“, bemerkte Samantha und nippte an ihrem Weinglas. Der
rotblonde Jäger warf seiner exotischen Gefährtin einen schuldbewussten Blick
zu.
„Wenn du glaubst, Arne hätte euch aus purer Gastfreundschaft eingeladen, oder
etwa um mir eine Freude zu machen, dann bist du auf dem Holzweg, Tony. Er hat
es getan, um Danny mit Lukas zu verkuppeln, damit sich jemand anders mit den
Pubertätsproblemen seines Sohnes herumschlagen kann.“
„Jetzt tust du mir aber unrecht, Sam!“, protestierte ihr Mann.
Tony blickte verwirrt vom einen zur anderen.
„Danny steckt grade in einer schwierigen Lebensphase. Er nimmt schon regelmäßig
Blut zu sich, aber auch noch normales Essen. Und mit dem Blutdurst kommt das
Interesse an anderen Dingen, über die er nicht gern ausgerechnet mit seinen
Eltern sprechen möchte.“
Tony nickte verständnisvoll.
„Ich war zuerst ein wenig irritiert. Lukas wusste es wohl nicht so genau. Er
hat mir vor Kurzem erzählt, Danny sei erst dreizehn.“
„Er ist im Mai vierzehn geworden“, berichtigte Samantha ungerührt.
Tonys Blick flog zu den in der Geschwindigkeit verschwimmenden Gestalten, die
unermüdlich versuchten, den Ball so zu bewegen, dass der Gegner ihn nicht
erwischte.
„Danny hat grade sein zweites Jahr in der Burg abgeschlossen“, verkündete
Arne stolz.
Samantha legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm.
„Die üblichen Vorstellungen kannst du getrost über Bord werfen. Jedenfalls so
ungefähr ab dem zwölften Lebensjahr. Davor, also bevor ihre Fangzähne wachsen,
sind sie wie alle anderen Jungs. Sie vertragen auch als Kinder nicht viel
Sonne, aber das ist eigentlich der einzige Unterschied. Sobald sie ihre Fänge
haben, und zum ersten Mal Blut trinken, beschleunigt sich alles.“
„Ich hätte Danny auf achtzehn geschätzt, mindestens.“
„Das erste Jahr war am schwersten.“ Samantha klang bedrückt. „Ich kann dir gar
nicht sagen, was das für ein Gefühl ist. Du schickst ein Kind in die Schule und
ein paar Monate später steht ein ausgewachsener junger Mann vor deiner Tür und
behauptet, er wäre dein Sohn.“
Tonys Blick wanderte fassungslos zu Danilo hinüber.
„So schlimm war es nun auch wieder nicht“, wiegelte Arne ab. „Du hast ihn
schließlich widererkannt. Und er sah, nach den Maßstäben Sterblicher,
vielleicht wie sechzehn aus. - Achtung!“
Während Tony und
Samantha sich umblickten, zischte der Lederball wie ein gelb-schwarzes Phantom
über ihre Köpfe hinweg und donnerte gegen die Backsteinwand des Hauses, nur
wenige Zentimeter neben einem Fenster. Das Geschoss prallte ab und sprang
unmittelbar in Lukas Hände, der neben ihrem Tisch zu materialisieren schien.
„Entschuldige, Arne“, sagte Lukas, aber sein Chef winkte ab. Arne fixierte den
rothaarigen jungen Mann, der mit trotzig in den Hosentaschen vergrabenen Händen
auf dem Rasen stand, mit einem strengen Blick.
„Pass gefälligst auf! Immer, wenn du Ferien hast, haben wir die Handwerker im
Haus.“
„Machen wir
besser
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