Lebenselixier
im
Monat, genug, um die Unkosten des Raven für den jeweiligen Tag alleine
abzudecken.
Als Sue ihr
geleertes Glas auf den Tresen zurückstellte und der Gast ihr galant vom Hocker
half, folgten Etiennes Augen dem Paar, bis die unauffällige Tür neben der Bar
sich hinter ihnen schloss. War es gut oder schlecht, dass Sue nie erfahren
würde, mit welchem Ausdruck Etienne ihr hinterher sah, wenn sie ihrer Arbeit
nachging?
Thomas zerstampfte
Limettenstücke mit braunem Zucker, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Ein
Geräusch? Ein Luftzug? Sein Blick schnellte zum Eingang.
Die vier Männer entsprachen nicht den üblichen Besuchern des Raven. Den
erwünschten noch viel weniger. Sie stellten ihre tätowierten Muskeln zur Schau
und scheuchten die Gäste auf der Tanzfläche auseinander, als sie den
direktesten Weg zur Bar einschlugen. Ihre kahl rasierten Schädel glänzten im
Stakkato der Lichtanlage wie ein Warnsignal. Die drei Burschen, die sich vor
Melanies Zapfanlage häuslich eingerichtet hatten, nahmen das sehr ernst. Sie
räumten das Feld, ohne den Neuankömmlingen einen überflüssigen Blick
zuzuwerfen. Melanie sah verdattert zu den Skins auf.
„Vier!“ Der größte und Breiteste der Männer illustrierte seinen Befehl, indem
er vier Finger hochhielt. Was nicht nötig gewesen wäre, denn seine Stimme
übertönte den Lärmpegel mühelos. „Aber dalli! Klar?“
Jessica, die zweite Barmixerin, strich nah an Thomas vorbei und suchte seinen
Blick. Das roch nicht nur nach Ärger, es stank zum Himmel.
Die vier Typen sahen sich herausfordernd im Raum um. Sie sprachen niemanden
direkt an, doch sie ließen sich laut vernehmlich und beleidigend über die
Lokalität und die Gäste in ihrer Nähe aus. Ein junger Mann beeilte sich, seine
Freundin vom Barhocker und zu einer weit entfernten Tischgruppe zu lotsen. Zwei
kunstvoll toupierte und geschminkte Edelpunks brachten ebenfalls Abstand
zwischen sich und die Unruhestifter, als diese begannen, ihre Aufmachung zu
verspotten.
Auch Melanie musste sich noch ein paar Pöbeleien anhören, dann hatte sie es
geschafft vier Kölsch zu zapfen. Ihre Mühe wurde umgehend mit der Behauptung,
es sei nur Schaum in den Gläsern und der Ankündigung, sie würden für diesen
Nepp nicht zahlen, belohnt. Das hielt die Typen allerdings nicht davon ab, sich
das Bier in Rekordzeit hinter die Binde zu kippen und das nächste zu verlangen.
Etienne schwang
sich auf einen der frei gewordenen Hocker neben den Schlägertypen. Melanie war
ihre Erleichterung anzusehen. Auch Thomas atmete beruhigt aus, bereit, sich
wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren.
Er blickte auf und sah sich einem für diesen Ort ungewöhnlich alten Mann in
konservativer Kleidung gegenüber. Sein grau meliertes Haar bauschte sich wie
ein wirrer Heiligenschein um eine spiegelnde Halbglatze. Das längliche Gesicht
war von tiefen, vertikalen Furchen durchzogen, die es noch hagerer wirken
ließen. Blasse, wimpernlose Augen fixierten Thomas auf irritierend intensive
Weise.
„Einen Martini“, verlangte der Mann.
Das stand nicht auf der Karte. Solche klassischen Drinks wurden selten
bestellt. Thomas rekapitulierte im Kopf die Zutaten, bevor er nickte.
„Kommt sofort.“
Er machte sich an die Arbeit, achtete aber weiterhin auf Etienne. Der
dunkelhaarige Bluttrinker lehnte entspannt an der Bar, sodass er die
Störenfriede im Auge hatte. Deren Anführer plusterte sich grade erwartungsvoll
auf. Die massigen Männer begutachteten verächtlich Etiennes hochgewachsene,
aber schlanke Gestalt und seinen Nadelstreifenanzug.
„Seht euch das an, Leute! So sehen schwule Zuhälter aus. Oder Zuhälter für
Schwule?“ Drei der Vier lachten wiehernd. Nur der Anführer nicht.
Etiennes zu einem nichtssagenden Lächeln gefaltetes Gesicht verriet keine
Regung, doch Thomas begriff, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick wanderte zu
Jan hinüber, Etiennes Geschäftspartner. Von seinem Platz an den Plattentellern
aus beobachtete der blonde Vampir scheinbar gleichgültig die Szene. Jan konnte
Thomas nicht täuschen. Er spürte die Beunruhigung des Bluttrinkers in sich aufsteigen,
als wäre es seine Eigene. Thomas musste sich nicht anstrengen, um seinen
Gefährten zu durchschauen.
„Ihr habt vielleicht das Schild am Eingang gesehen“, hörte Thomas Etiennes
Stimme. Die gesprochenen Worte waren vor allem für Beobachter der Szene
gedacht. „Da steht: Geschlossene Gesellschaft - und, sorry - wir haben
euch nicht eingeladen.“
Etiennes Geist
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