Lebenselixier
Stirn.
Die Anstrengung
ließ weitere Schweißtropfen von Etiennes Stirn perlen. Aber er zwang seine
beiden Kandidaten, dem letzten Skinhead zu folgen, den der hilfsbereite
Bluttrinker zum Ausgang dirigierte. Auch Jan brauchte seine gesamte Kraft und
Konzentration, um ihnen mit seinem Opfer zu folgen.
„Max“, rief Jan
erleichtert aus. Er hatte den unverhofften Helfer sofort erkannt. Maximilian
arbeitete als Wächter für Johanns Jäger. Gemeinsam war es ihnen
gelungen, die Kahlköpfe einige Meter die Straße hinunter in eine ruhige Ecke zu
lotsen. „Das war die Rettung! Danke, Mann!“
„Wir stehen in deiner Schuld“, beteuerte Etienne.
Maximilian brachte die jüngeren Bluttrinker mit einer knappen Geste zum
Schweigen. Er wandte sich jedem der Skinheads einzeln zu. Zuletzt ihrem
Anführer. Er legte ihnen die Hand auf die Stirn und schloss konzentriert die
Augen, während er den Geist der Männer durchforstete. Schließlich ließ er von
den Gestalten ab, die reglos und ausdruckslos verharrten.
„Das ist merkwürdig“, murmelte er. „Ich muss mich bei euch entschuldigen. Ich
dachte zuerst: Was stümpern die da nur rum. Aber diese Typen sind tatsächlich
extrem schwer zu beeinflussen.“
Etienne schüttelte den Kopf. „So was ist mir noch nie passiert.“
„Die können doch unmöglich alle Telepathen sein, oder?“ In Jans Stimme klang
mit, was für eine unglaubliche Verschwendung das wäre.
„Nein“, urteilte Maximilian entschieden. „Das sind garantiert keine Telepathen.
Sie selbst scheinen auch keine Ahnung zu haben, was mit ihnen los ist.“ Er
durchforstete das Bewusstsein der Sterblichen so tief er vorzudringen
vermochte. Diese Widerstandskraft war nicht normal. Nicht bei Menschen, die
keinerlei telepathische Fähigkeiten mitbrachten. Vergleichbares war ihm in den
Jahrhunderten seines Lebens nicht begegnet. Jan und Etienne beobachteten ihn
aufmerksam, erwarteten, dass er das Rätsel löste.
„Wenn ihr mich fragt, sind die Typen auf Droge“, meinte er schließlich.
„Wahrscheinlich irgendein chemischer Müll.“
‚„Na, toll! Darauf hat die Welt gewartet, dass irgendwelche Giftmischer was
zusammenrühren, wovon solche Kerle unempfindlich gegen Hypnose werden!“
Maximilian grinste über Etiennes Ausbruch.
„Es scheint mir die einzig vernünftige Erklärung zu sein. Aber ich kann dich
trösten: Dieser Kram ist oft kurzlebig. Nicht jedes Gebräu hat das Zeug zur
Modedroge.“
Etienne schnaubte.
Der Wächter legte
erneut die Hand auf jede Stirn. Kaum war er damit fertig drehten die
Sterblichen sich wie ein Mann um und tappten die Straße hinunter, verschwanden
um die nächste Hausecke.
„Sie gehen zu ihrem Wagen“, erläuterte Maximilian. „Ich habe sie nach Hause geschickt.“
Etienne überwand
seinen Schrecken. Mit der unverkrampften Dienstbarkeit, die seine zweite Natur
geworden war, wandte er sich dem Wächter zu. Ihm war klar, dass das Einkommen
des Bluttrinkers weit unter dem üblichen Budget seiner Kunden lag.
„Das war Hilfe zum richtigen Zeitpunkt. Wir würden uns gerne erkenntlich
zeigen. Sei unser Gast!“
„Danke, aber ich bin dienstlich hier.“
Etienne nickte. Natürlich! Maximilian war nicht der Typ, der irgendwelche
Auslagen begaffte, die er sich nicht leisten konnte.
„Dann können wir uns vielleicht revanchieren, indem wir dich bei deinem Auftrag
unterstützen.“ Jan versuchte gar nicht erst, seine Neugierde zu verbergen.
„Hinter wem bist du her?“
„Es ist eine Routineangelegenheit“, begann Maximilian. „Letzten Spätsommer ist
einer von Jeremias Schülern abgetaucht. Das kommt immer wieder mal vor und
dieser Bursche hatte einen guten Grund, sich aus dem Staub zu machen. Hatte
sich eine Menge Kohle zusammengeschnorrt und konnte sie nicht zurückzahlen.
Routine, wie gesagt.
Aber die toten Jungs in Amsterdam haben sämtliche Mütter aufgeschreckt. Wir
bekommen inzwischen panische Anrufe, wenn Teenager einen Tag nicht nach Hause
gekommen sind.“
Jan und Etienne nickten mitfühlend. Ein paar Tage und Nächte von der Bildfläche
zu verschwinden, war für pubertierende Bluttrinker ein völlig normales
Verhalten. Besonders wenn sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammelten. Oder
sie wollten abwarten, bis die Spuren irgendeiner Schlägerei verheilt waren,
bevor sie sich wieder bei ihren Familien sehen ließen.
Maximilian zog
ein Foto aus der Tasche, auf dem ein rotblonder Junge ihnen frech
entgegengrinste. „Das ist Morris Brandon. Das Foto ist ungefähr ein halbes
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