Lebenselixier
unersättlichen Gier, die Tony überwältigt hatte.
Gewiss hätte er sie an irgendeinem Punkt aufhalten müssen.
Konnten Bluttrinker am Schock hoher Blutverluste sterben?
Lukas Augenlieder waren halb geschlossen. Weder bewegte er sich, noch
antwortete er ihr. Auch nicht, als sie ihn schüttelte und fest zwickte. Ihre
Finger tasteten nach der unverletzten Seite seines Halses. War da ein
Pulsschlag? Sie war sich nicht sicher. Ihr eigenes Herz hämmerte hart in ihrer
Kehle. Atmete er? Wie würde ein Bluttrinker auf Herz-Lungen-Wiederbelebung
reagieren?
In der Welt, in
der sie bis vor acht Monaten gelebt hatte, schien es für jede Krise eine
passende Strategie zu geben, um sie zu bewältigen. Für die meisten zumindest.
Oder doch wenigstens für die, in die hineinzugeraten sie ernsthaft für möglich
gehalten hatte.
Jetzt war alles anders. Nicht einmal einen Notarzt alarmieren konnte sie. Es
traf sie wie ein Eimer kalten Wassers. Selbst wenn Lukas heute durch ihre
Schuld sterben sollte - dafür zu sorgen, dass kein Mensch erfuhr, was er war,
hatte oberste Priorität.
Der einzige
andere Vampir, den sie in dieser Stadt kannte, war Jamal. Soweit man von Kennen
sprechen konnte. Sie wusste seine Adresse. Weil er nur ein paar Häuser entfernt
wohnte, er einer von Lukas Kollegen war und weil ihre Freundin Maike mit ihm
zusammenlebte. Aber inzwischen war heller Tag. Jamal konnte nicht herkommen.
Kein Bluttrinker konnte das. Und Maike? Tony bezweifelte, dass sie eine Hilfe
wäre.
Die Gefährtin war selbst erst seit ein paar Jahren vereinigt. Zweifellos hätte
eine extrovertierte Frau wie sie es zumindest angedeutet, wäre ihr etwas
Vergleichbares widerfahren.
Dennoch musste sie Jamal anrufen. Vielleicht konnte er ihr wenigstens
telefonisch einen Rat geben. Sie reckte sich nach Lukas Handy auf dem
Nachttisch. Wie würde Jamals Rat wohl aussehen? Ihre Finger auf der Tastatur
hielten inne.
Natürlich! Es gab nur eine logische Antwort. Und es gab den zweiten Teil des
Rituals!
Tony durchwühlte
die zerknautschten Laken. Sie überlegte bereits loszulaufen und ein Messer aus
der Küche zu holen, als sie endlich den Fingerhut mit der winzigen Klinge
wiederfand. Tonys Blick blieb ungläubig an der klaffenden, ausgefransten Wunde
hängen, die ihre Zähne in Lukas Hals gerissen hatten.
Das war wirklich sie gewesen!
Selbst unter der eisigen Oberfläche der Angst summte eine tiefe Befriedigung
durch jede Zelle ihres Körpers. Der Anblick der weißlichen Wundränder, aus
denen noch immer ein schwaches Blutrinnsal troff, schickte Schauder durch ihren
Körper. Entsetzlicherweise war es ein unverkennbar wohliges Schaudern. Sie
wollte sich vorbeugen und die gerinnenden Tropfen auflecken, die über Lukas
Schulter perlten.
Reiß dich zusammen! Schon einmal hatte Lukas durch eine schwere Verletzung das Bewusstsein
verloren. Tony tat, was sie damals getan hatte. Sie stach sich mit dem
Adermesser in den Hals.
Der Geruch ihres
Blutes löste einen Reflex aus, der stärker wog als Bewusstlosigkeit und
Schwäche. Ohne wieder zu sich zu kommen, richtete Lukas Oberkörper sich auf.
Seine Arme umschlangen sie wie Stahlbänder und spitze Reißzähne, in Sekunden
aus seinem Kiefer gewachsen, fanden ihre Halsschlagader.
Tony hätte nicht
sagen können, wann genau Lukas Bewusstsein zurückkehrte. Irgendwann, während er
trank, rollte er sie auf den Rücken, ohne seine Zähne aus ihrer Kehle zu lösen.
Selbst als er in sie eindrang und rhythmisch in sie stieß, wusste sie nicht, ob
er wieder vollständig bei sich war.
Es war nicht wichtig.
Blutkonsum und Sex gehörten für Vampire zusammen. Bisher war es nur in
Ausnahmesituationen vorgekommen, dass Lukas von ihr trank, ohne mit ihr zu
schlafen. Sie empfand eine unglaubliche Erleichterung, weil ihr Geliebter
keinen Schaden genommen hatte. Sein sexueller Appetit überzeugte sie mehr als
alles Andere.
Lukas saugte
härter an ihrem Hals als je zuvor. Oder bildete sie sich das nur ein, weil sie
es erwartete? Seine Stöße wurden schneller und Tony gab sich dem Genuss hin,
wie ihr Orgasmus sich aufbaute, in Wellen über sie hinweg schwappte, die
wundervoll und berauschend waren. Aber nicht von der elementaren,
unausweichlichen Kraft, von der sie jetzt erfahren hatte, dass sie möglich war.
Mit einem letzten, harten Stoß verströmte Lukas sich in ihr. Sie konnte ein
erleichtertes Seufzen nicht zurückhalten, als er seine Zähne von ihr löste. Zum
ersten Mal war ihr der Gedanke gekommen, er könnte womöglich
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