Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
»Ja?«.
»Sohn?«, fragte mein Vater mit lauter Stimme, als bestünde die Möglichkeit, dass das alles nur ein Scherz gewesen sein könnte und ich den Mummenschanz jetzt endlich aufklären sollte.
»Ja?«, fragte ich erneut schamvoll und strich mir den Schweiß von der Stirn. Die Prognose meines Vaters bezüglich meiner Überlebenschancen am Berg war eingetreten, nur dass mich nicht eine unbarmherzige Lawine verschluckt, sondern ich mich ganz freiwillig in den Abgrund gestürzt hatte.
»Sohn, ist das wahr, was Herr Schmitz erzählt hat?«
»Was denn?«, versuchte ich die Situation über Gebühr in die Länge zu ziehen, aber eigentlich war uns beiden klar, worum es ging und dass sich Herr Schmitz die ganze Sache nicht in einem Anfall von Höhenfieber eingebildet hatte.
»Jetzt stell dich hier nicht dumm«, erwiderte mein Vater auch prompt.
»Ist es wahr, dass du sturzbetrunken seinen Skianzug gestohlen hast und dann in einer Lache aus griechischem Quark Ski gefahren bist?«
»Ach ja, das … ja, das stimmt wohl«, gab ich kleinlaut zu und wünschte, im Boden zu versinken. Dann herrschte plötzlich Stille in der Leitung, nicht mal der Atem meines Vaters war zu hören.
»Das ist ja herrlich!«, geierte er plötzlich aus dem Hörer, dann blieb ihm vor Lachen die Spucke weg, und er musste sich einen Augenblick vom Telefon abwenden. Im Hintergrund hörte ich meine Mutter »Hihihi« kreischen, auch sie lachte sich kaputt. Jetzt hatten sie endgültig den Verstand verloren.
»Wie bitte?«, fragte ich verdattert, irgendwie hörte sich das weniger nach Enterbung und Verbannung an, als ich erwartet hatte.
»Die alte Arschgeige … geschieht ihm recht, gut gemacht!«, brachte mein Vater zwischen zwei Lachkrämpfen hervor. Meine Mutter wollte zwar ein regulierendes »Rooobert!« nachschieben, kam dann aber nicht weit, weil der nächste Lachanfall sie übermannte.
»Ihr seid nicht böse auf mich?«, fragte ich ungläubig, irgendwie war die eigenartige Rechtsprechung meiner Eltern schlechter abzuschätzen als die Lottozahlen.
»Quatsch, also, na ja, vor Schmitz natürlich, ich habe ihm einige drakonische Strafen für dich angekündigt, TV-Verbot, Ausgehverbot, Lebensverbot im Allgemeinen … eigentlich würde ich dich aber lieber fürs Bundesverdienstkreuz vorschlagen«, sagte mein Vater und prustete wieder los. Anscheinend phantasierte ich, wahrscheinlich hatte ich gestern einen Sonnenstich erlitten und lag jetzt eigentlich in meinem Bett, anstatt zu telefonieren.
»Was mache ich denn jetzt?«, wollte ich von meinem Vater ratlos wissen, während mich Schmitz durch das Fenster begeistert dabei beobachtete, wie ich mir den Schweiß von der Stirn strich.
»Tu reumütig, er soll ruhig denken, dass wir dich so richtig schön verknackt haben.«
»Ich bin echt froh, dass ihr nicht sauer seid, auch wegen der Skier!«, sagte ich und blies gestresst die Backen auf, damit Schmitz vorm Fenster weiter davon überzeugt sein konnte, dass mir seitens meiner Eltern Internierung in einem mongolischen Straflager bevorstand.
»Was ist denn mit den Skiern? Du hast doch nichts kaputt gemacht, was wir bezahlen müssen, oder?«, wechselte die Stimme meines Vaters von heiterem Lachen in einen Tonfall, als müsste er eine Beerdigungsrede halten. Schmitz hatte in seiner Wut wohl vergessen, die verlorenen Skier zu erwähnen.
»Ach nix«, redete ich mich raus, doch am ungläubigen Husten meines Vaters konnte ich erkennen, dass das mongolische Internierungslager gerade doch wieder in greifbare Nähe gerückt war.
Ein Job für Stronzo
Bevor ich aber dort den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen wurde, musste ich noch Schmitz Vader überstehen, der beim Aussuchen von drakonischen Strafen ebenso kreativ war wie bei der Wahl seiner Ballonseidensportanzüge. Er schloss mich für die nächsten Tage vom Skifahren aus und übergab mich der Obhut von Giuseppe, für den ich mittlerweile vom »Stronzo« zu einem »Best of« der italienischen Schimpfwörter geworden war. Jedes Mal, wenn er mich nur sah, verfinsterte sich sein Gesicht, und er murmelte etwas nicht Jugendfreies wie »coglione« oder »testa di mala minchia«, was laut Hannas Wörterbuch irgendwas mit Penis und Schafkopf zu tun hatte.
Giuseppe wollte den Zeitraum, den ich in seiner Gegenwart verbrachte, möglichst begrenzen, weil er mich sonst wahrscheinlich mit einer Schneekanone erschlagen hätte, weshalb ich die Aufgabe bekam, den Motor des Sessellifts zu bewachen, der in unregelmäßigen
Weitere Kostenlose Bücher