Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Im Gegensatz zu den überlauten sonstigen Pädagogen, die oft wie eine zu schnell abgespielte Schallplatte klingen, hat der Geschichtslehrer das Phlegma einer Randfichte: Unicolorbraun mit Wildledermokassins und Jean-Paul-Sartre-Brille schlappt er durch die Schule, so deplatziert wie ein Ritter auf einem Marilyn-Manson-Konzert. Der Geschichtslehrer unterrichtet eigentlich das spannendste Fach – bis auf den Religionslehrer, denn mit so viel Blut und Krieg wie in der Bibel kriegt man eigentlich jeden Teenager rum. Allerdings spielt der Geschichtslehrer diese Karte nicht allzu oft aus, denn er hat ein Präsentationsproblem. Was daran liegt, dass fünftausend Jahre Menschheitsgeschichte zwar nicht in den »Brockhaus« passen, dafür aber in den Kopf eines Geschichtslehrers. Viel Raum für Informationsverarbeitung der schulischen Gegenwart bleibt da leider nicht.
So auch bei Herrn Heinzelmann, unserem Mittelstufen-Geschichtslehrer: ein gerade mülltonnengroßes Männchen mit Stirnglatze und braungelbem Kinnbart, das nicht nur unter seinem unglücklichen Nachnamen, sondern auch unter der Missachtung mancher Mitschüler litt. Eigentlich war sein Nachname nicht das Problem, Herr Heinzelmann hätte auch Herr Donnerfaust heißen können, seine gutartige Leichtgläubigkeit machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung.
Herr Heinzelmann besaß eine ganze Garderobe voller brauner Cordsakkos, die sich nur durch das Haarschuppenmuster, das sich auf dem Schulterstoff gebildet hatte, unterscheiden ließen. Heute trug er »das italienische«, jedenfalls nannten wir Schüler es so, weil es Schuppenreste in Form eines Damenstiefels auf der Schulter erahnen ließ.
Herr Heinzelmanns bester Freund war der Overheadprojektor, ein antiker Kasten, der im gerade aufkommenden Internetzeitalter ähnlich aus der Zeit gefallen schien wie Herr Heinzelmann selbst. Stundenlang stand er gebeugt, den Hinterkopf von der Aureole einer Overheadlampe beschienen, und inhalierte den Dampf seiner wasserlöslichen Stabilos, mit denen er Myriaden von Querverweisen und Verknüpfungen auf dem Zahlenstrahl eintrug. Leider hielt sich die Begeisterung seiner Zuschauer für die bunten Linien in Grenzen, deswegen lief eine Unterrichtsstunde bei Herrn Heinzelmann normalerweise so ab: Herr Heinzelmann betrat den Raum, ging gemächlich zu seinem Pult und setzte sich. Dann entfaltete er ein Butterbrot mit Harzer Roller, die Jahre zwischen muffigen Kladden und vergilbten Geschichtsbüchern schienen seinen Geruchssinn erfolgreich abgetötet zu haben, in den ersten Reihen fielen manche Schüler aufgrund des Gestanks fast in Ohnmacht.
Dann folgte der Gang zum obligatorischen Overheadprojektor, aus einer Mappe mit unzähligen Möglichkeiten fingerte er eine Folie hervor und begann mit der Frontalbespaßung. Leider hatte Herr Heinzelmann das Humorverständnis eines Topfs Brunnenkresse (Lieblingsspruch: »Ist die Folie voll, schreibe ich auf der Rückseite weiter, haha«) und deutlich weniger Charisma als der ZDF-Welterklärer Guido Knopp. Egal, ob er jetzt über zahllose Kriege und Friedensschließungen, den Aufstieg und Niedergang von Adelsgeschlechtern oder die klassischen griechischen Sagen sprach, er nuschelte alles im unmodulierten Duktus eines Bahnschaffners daher, theoretisch hätte er auch aus dem neuesten
ALDI
-Prospekt vorlesen können.
Besonders knifflig wurde es immer, wenn ihm zwischendurch einfiel, dass seine Kritzeleien ursprünglich nicht nur seinem eigenen Vergnügen dienen sollten. Dann folgte meist das Grauen in Form druckreifer Dialoge, an deren Ende sich Herr Heinzelmann immer an sein Pult setzte, den Kopf senkte und augenblicklich um ein paar Zentimeter zu schrumpfen schien.
»Gökhan, komm doch mal nach vorne«, versuchte er es in einem pädagogischen Bemühen, das sich in wenigen Sekunden aufgelöst haben würde wie ein Furz im Aufzug.
»Nee«, nörgelte der unwillige Gökhan und schüttelte den Kopf, er war gerade dabei, seinen Namen mit Edding auf den Tisch zu schreiben.
»Sapperlot, jetzt aber voran, du fauler Lümmel«, echauffierte sich Herr Heinzelmann antiquiert, nicht nur seine Unterrichtsthemen, auch seine Sprache schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen.
Gökhan schleppte sich lustlos nach vorne.
»Wo würdest du denn Homer in dieser Zeitskala einzeichnen, Gökhan?«, fragte Herr Heinzelmann.
»Walla, ey, wassn Homo, isch kenn kein Homo!«
»Homer … der bekannte Dichter?«, erwiderte Herr Heinzelmann bierernst.
»Wie
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