Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
homosexuäl? Bissu schwul, oder was, Herr Heinzelmann?«
Tiefe Falten legten sich über Herrn Heinzelmanns rosafarbene Stirn, selbst solche Vulgarismen und dummen Fragen konnten ihn nicht von seinem Lehrauftrag abbringen.
»Gökhan, jetzt hör auf mit dem Quatsch, du sollst mir sagen, wann Homer in etwa gelebt hat.«
»Homer Simpson?«
»Gökhan, jetzt sag schon, wann hat Homer gelebt?«, bestand er weiter auf seiner Frage, auch wenn längst nicht mehr mit einer sinnvollen Antwort zu rechnen war.
Darauf gab Gökhan die wohl eloquenteste Antwort, die ihm einfiel und die selbst Herr Heinzelmann nicht als »falsch« bezeichnen konnte.
»Früher«, sagte er und ging wieder zu seinem Stuhl, den Kopf stolz in den Nacken gelegt, während Herr Heinzelmanns haarloses Haupt langsam Richtung Erdboden niedersank.
Daraufhin hielt Herr Heinzelmann einen längeren Vortrag über das Leben des weltbekannten Diktators und römischen Kaisers Gaius Julius Cäsar (allein der Vorname »Gaius« löste aufgrund seiner Nähe zum englischen »Gay« eine erneute Schwulendebatte aus). Auch hier offenbarte sich wieder das Gefälle zwischen der Lebenswirklichkeit der Schüler und der Relevanz historischer Stoffe, als Herr Heinzelmann wieder mal eine seiner beliebten Zwischenfragen stellte.
»Wie ist Cäsar denn ums Leben gekommen, wer weiß es?«
Es herrschte Totenstille im Raum, ein paar Schüler hatten es sich bereits mit der Stirn auf der Tischplatte gemütlich gemacht, nur die wenigsten waren noch nicht ihrem Schlafbedürfnis erlegen.
»Ja, Hanna, bitte«, sagte Herr Heinzelmann, seine Miene hellte sich in Erwartung einer sinnvollen Antwort erheblich auf.
»Er fiel einem Attentat zum Opfer, Anführer war sein Freund Marcus Brutus«, antwortete sie druckreif. Hanna hatte Herrn Heinzelmann noch nie enttäuscht, doch er wollte es noch genauer wissen.
»Und wie wurde er ermordet, Hanna?«
Hanna schüttelte den Kopf.
»Weiß es sonst jemand?«
Plötzlich zeigte Gökhan auf, Herrn Heinzelmann rann eine einzelne Schweißperle über die Stirn, nach etwa tausend falschen Antworten in Folge war auch diesmal mit nichts Sinnigem zu rechnen.
»Ja, Gökhan«, gab ihm Herr Heinzelmann dennoch eine Chance.
»Er wurde gemessert«, sagte Gökhan und lachte.
»Was wurde er?«, fragte Herr Heinzelmann irritiert nach. »Messern« war nicht unbedingt in seinem Wortschatz enthalten.
»Kurzer Prozess, der wurde weggemessert«, resümierte Gökhan erneut wortreich, langsam schwante Herrn Heinzelmann, was sein Schüler damit sagen wollte.
»Du meinst, er wurde erdolcht?«, fragte Herr Heinzelmann unsicher.
»Sach isch doch, der wurde gemessert, wie bei Counterstrike, so von hinten.«
Langsam bewegten sich Geschichtslehrerkosmos und Pubertistenduktus aufeinander zu und trafen sich wie zwei Güterzüge.
»Na ja, also, in etwa richtig, würde ich sagen, gut, Gökhan!«, sagte Herr Heinzelmann und erweckte die Klasse damit aus dem dämmrigen Halbschlaf, eine richtige Antwort von Gökhan, damit hatte wohl keiner mehr gerechnet. Der Angesprochene wohl auch nicht, denn er grinste stolz über das ganze Gesicht.
»Gut, dann haben wir doch heute ganz schön was geschafft, Martin, fass doch bitte noch mal alles kurz zusammen«, sagte Herr Heinzelmann zufrieden und strich sich die Schweißperlen von der Stirn.
Martin schaute von seinem Tisch auf und fasste knapp zusammen: »Homer lebte früher, und Cäsar war schwul und wurde deswegen gemessert.«
»Tja, okay, kann man so stehen lassen«, sagte Herr Heinzelmann, zog sich seinen Anorak über, klemmte sich die Ledertasche unter den Arm und ging erstaunlich aufrecht aus dem Klassenraum.
Geschichte kann ja so einfach sein, wenn man sich darauf einlässt.
Der Passat ist tot
6:30 Uhr im Winter. Schwarz wie der Hintern eines Panthers hing die Nacht noch über dem eiszeitlichen Gelsenkirchen, die Kälte schob sich durch die Fensterläden unseres Hauses, vor dem Vorhang peitschte ein scharfer Wind ein paar Schneeflocken vorbei. Meine Eltern und ich saßen am Frühstückstisch und löffelten Knuspermüsli. Mein Kopf hing schlaff ein paar Zentimeter über der Schüssel, mein Vater griff beim Zeitungslesen mit halb offenen Augen ein paarmal in die Luft, bevor er die Kaffeetasse zu greifen bekam. Wer auch immer sich ausgedacht hatte, dass Schule generell um Viertel vor acht beginnen musste, war entweder ein Sadist oder litt unter krankhafter Schlaflosigkeit. Anders war nicht zu erklären, dass sich bereits Generationen von Schülern, noch
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