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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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zu werden.
    »Bupfs«, spuckte meine Mutter und gab damit das Stichwort.
    Die einzige Verlässlichkeit des Gelsenkirchener Busbetriebs war, dass man sich darauf verlassen konnte, dass die Bupfse zielsicher zu spät kamen. Besonders bei diesem Wetter. Der eisige Wind trieb nun die ersten Hagelkörner vor sich her, der Himmel war noch immer schwarz und sternenlos. Die verglasten Wände der Haltestelle waren allesamt von jugendlichen Rowdys vorbeugend eingeschlagen worden, weil es wohl zum Standardrepertoire jugendlichen Rowdytums gehört, Bushaltestellen zu vernichten und Straßenlaternen auszutreten. Nun saßen wir ungeschützt in den orangefarbenen Sitzschalen und warteten. Mein Vater hatte seine Aktentasche auf dem Schoß, meine Mutter versuchte ihr Spinatkopftuch mit Würde zu tragen, und ich zog mir die Bänder meiner Kapuze so zusammen, dass nur noch ein schmales Guckloch in meinem Anorak blieb, aus dem ich die näher kommenden Lichter des Busses 381 am Straßenende aufblitzen sah.
    Der 381er siebte sich wie ein überdimensionaler Schuhkarton durch die zugeschneiten Straßen Gelsenkirchens. Mit einem lauten Dröhnen kam er direkt an der Bushaltestelle zum Stehen und schoss uns zur Begrüßung ein wenig grauen Schneematsch vor die Füße.
    Schlimmer noch, als sonst wie ein dickes Schneewittchen im Glassarg an meinen Mitschülern vorbeigekarrt zu werden, war nur, direkt im 381er Platz zu nehmen, in dem sich alle meine emotionalen Erzfeinde ihr morgendliches Stelldichein gaben. Gökhan Mutlu, Rene Maurer und einige ihrer namenlosen Anhängsel saßen immer in der letzten Reihe, bemalten die Rückseite der Sitzbänke mit unleserlichen Tags in falschem Englisch oder bespuckten die anderen Insassen mit vollgespeichelten Papierkügelchen, die eigentlich mal die Grundlage ihrer Hausaufgaben bilden sollten.
    »Dreimal Kurzstrecke«, sprach mein Vater den völlig leblos dasitzenden Busfahrer an. Jahre des Chauffierens von übermütigen Teenagern hatten dem Mann jegliche Begeisterung für seine Tätigkeit ausgetrieben, kraftlos nuschelte er: »Wo wollense denn hin?«
    »Ringstraße«, nuschelte mein Vater noch undeutlicher zurück.
    »Nix Kurzstrecke, das sind 14 Stationen«, echauffierte sich der Mann in einem kurzen Aufbäumen seines Baritons.
    Mein Vater tat so, als wüsste er nach dreißig Jahren Schuldienst nicht, dass 14 Stationen Busfahrt nicht mehr als Kurzstrecke durchgehen, und bezahlte murrend die drei Einzelfahrscheine.
    Die Innereien des Busses waren einladend wie eh und je. Auf den Synthetiksitzen stumpfte uns ein Multicolorklötzchenmuster entgegen, das am ehesten an erbrochene Legosteine erinnerte. Das künstliche Licht der Neonröhren flimmerte die aschfahlen Gesichter der anderen Mitreisenden an, die meisten waren aufgrund der Temperaturen eingepackt, als wären sie in Teppiche gewickelt. Am Ende des Busses konnte ich die obligatorische Bande meiner Verdammnis entdecken, Gökhan Mutlu versuchte gerade, einen Nothammer zum Fenstereinschlagen aus der Halterung zu reißen. Der Bus war rappelvoll, nur in der hintersten Reihe, in Rufweite der versammelten Kommission gegen dicke Loser, waren noch vier Plätze frei.
    »Ich will lieber stehen!«, insistierte ich meinen erstaunten Eltern entgegen, die Gründe meines Wunsches verschwieg ich lieber, so richtig hatten meine Eltern meine Stellung in der Schulhierarchie, die mich irgendwo zwischen dem Schimmelpilz in der Schultoilette und dem Jungen ansiedelte, der statt Käsebroten seine Popel fraß, nicht begriffen.
    »Quatsch«, murrte mein Vater und schob mich durch das Dickicht der ausdruckslosen Gesichter unserer Mitreisenden, die allesamt auf dem Weg zur Arbeit waren und müde in die schwarze Nacht vor dem Fenster starrten.
    Ich zog die Kapuze noch enger zu, unaufhaltsam rückte die Gruppe näher, mittlerweile hatten sie den Nothammer abbekommen und reichten ihn herum wie eine geladene Kalaschnikow.
    Dann bemerkten sie uns, und ich konnte sehen, wie Gökhans braune Augen erst meinen Vater, dann meine Mutter, das Spinatmonster, und schlussendlich mich abtasteten, wie ich da versuchte, durch das schmale Guckloch in meiner Kapuze dem Erstickungstod zu entrinnen. Auf Gökhans rotem Kapuzenpulli konnte man ein Graffiti lesen, das die Worte »Original Gangsta« formte.
    »Tach, Herr Bieeeelendööörfer«, brüllte der »Original Gangsta« mit seiner kastratenhaften Teenagerstimme durch den Bus, mein Vater nickte steif und setzte sich dann hin. Wir waren erkannt worden,

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