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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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jetzt war alles vorbei. Kurz dachte ich darüber nach, den roten Nothalteknopf an der Busdecke anzuspringen, doch meine Mutter zog mich an der Hand auf den Sitzplatz neben ihr. Nun saßen wir genau den Leuten gegenüber, die meine Schulzeit zur Komplettkatastrophe umgestaltet hatten. Ich konnte sehen, wie Gökhan mehrmals den Notfallhammer in seine Handfläche schlug.
    Das hier war keine wirkliche Gefahr, das war eine reine Plastikgefahr, unecht und künstlich wie Gegner in alten »Star Trek«-Folgen, die mit angeklebten Antennen und blau bemaltem Gesicht als Aliens gegen die unschlagbare Supergroup der Weltraumstars Kirk und Spock in ihren pastellfarbenen Spandexpullovern antreten sollten. Aber wem sollte ich das hier schon erzählen? Doch wo Spock und Kirk Phaser, Beamen und Warp-Antrieb hatten, um sich der Gefahren der unendlichen Weiten ihrer Styroporkulissenwelt zu erwehren, konnte ich höchstens den gefrorenen Blattspinat vom Kopf meiner Mutter wickeln und wie ein Besenkter auf Gökhan und Rene Maurer losgehen.
    »Ey, Herr Bielendööörfer, Auto kaputt?«, diagnostizierte Gökhan scharfsinnig, mein Vater nickte nur einmal stur, es schwang ein nonverbales »Halt doch die Schnauze, du haarige Kackbratze« mit.
    »Sndf das Freunfe von dia?«, gluckste meine Mutter durch ihr Küchentuch eher rhetorisch, ich schüttelte zur Sicherheit trotzdem meine Kapuze.
    »Ey, Herr Bielendörfer, is’ das Ihre Alte?«, spottete Gökhan und nickte in die Richtung meiner Mutter. Im Rausch der Gruppe war jeder Anstand verloren gegangen, gleich würde wahrscheinlich mein Vater mit der Packung Blattspinat auf die paar Halbstarken losgehen, die ganze Situation war ein Krisengipfel des Unangenehmen, am liebsten wäre ich mit der Sitzschale verwachsen, einfach vom Synthetiksitz gefressen und im Nichts verschwunden.
    Quietschend schoben sich die Hydrauliktüren des Busses auf, ein paar weitere Fahrgäste stürzten aus der arktischen Kälte in den Innenraum und stempelten mit einem unpassend hellen Klingeln ihre Tickets ab. Die meisten ordneten sich instinktiv im vorderen Bereich des Busses ein, die Gegenwart der Rückbank war allgegenwärtig, ein Terrortreff von Teenagern war das Letzte, was Leute auf dem Weg zur Arbeit brauchten. Nur eine Frau im Nadelstreifenanzug löste sich aus der grauen Masse, ihr Gesicht war kunstfertig geschminkt, die natürliche Bräune ihrer Haut und die Bestimmtheit ihres Schritts unterschieden sie sofort von den übrigen aschfahlen Passagieren, die teilweise eher aussahen, als würden sie zum Schlachthof und nicht zur Arbeit gefahren werden. Zielstrebig ging sie auf die Rückbank zu, ich schaute sie durch das Guckloch meines Anoraks an, am liebsten hätte ich mich auf den grauen Plastikboden zwischen den Sitzreihen geworfen und gebrüllt: »Junge Frau, gehen Sie zurück, das ist hier nichts für Sie, das sind Rabauken, die sich nicht benehmen können!«
    Dann sah ich, wie Gökhans Blick an der Frau hängen blieb. Entsetzen lag in seinem Gesicht.
    »Mama?«, hustete er mehr, als dass er sprach, der rote Notfallhammer hing schlaff in seiner Hand. Ach, auch der »Original Gangsta« hatte eine Mutter? Irgendwie passte diese aber nicht ganz in das Bild seiner Eltern, das Gökhan in einer Vorstellungsrunde mal mit »Isch bin Problembezirk, walla!« beschrieben hatte. Die Dame sah eher aus wie die Pressesprecherin der FDP. Gökhans Entourage war spontan vom Blick der Medusa versteinert worden, alle saßen da und starrten die nette Mutti ihres Anführers an, der mit brüchiger Stimme die nächste Frage stellte: »Was machst du denn hier, Mama?«
    »Der Wagen sprang nicht an, muss ich halt so hin, ich kann meine Mandanten ja nicht warten lassen, oder was glaubst du? Was hast du da überhaupt an, hat Henri das erlaubt? »Original G-a-n-g-s-t-a«, ich glaub, ich spinne, Freundchen! Warum hat er dich nicht zur Schule gefahren? Das ist mal wieder so typisch für deinen Vater!«, echauffierte sich die Mutter, und mit jedem ihrer Worte zerbröckelte der »Original Gangsta« in seine Einzelteile. Von der Maskierung des Berufsverbrechers, mit der sich Gökhan bisher so erfolgreich getarnt hatte, blieb nicht mal ein kleiner unerzogener Rest übrig. Ich schaute zu meinem Vater, auch er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Ist das ein Notfallhammer in deiner Hand, Göki?«, motzte die Mutter entsetzt. Gökhan schaute auf den roten Klöppel in seiner Hand und wusste wohl selbst nicht, was er antworten sollte. Rene

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