Lebenslänglich
gewesen waren, hatten jedenfalls Geld abgezweigt und geglaubt, dass Andersson nichts davon mitbekäme.
Deshalb hatte er ihnen die Hände abgehackt, um ihnen klarzumachen, dass sie ihre Finger raushalten sollten.
Doch bei dem Fall gab es einige Details, die Annika ein bisschen seltsam vorkamen.
Erstens: Falls Filip Andersson tatsächlich in der Hierarchie so weit oben stand, wieso hatte er sich dann die Aufschläge seiner schicken Hose beschmutzt, indem er die blutige Dreckarbeit selbst erledigte? Hatten alle Killer gleichzeitig Urlaub genommen?
Oder war er vielleicht einfach bloß ein Sadist?
Wenn er wirklich ausgekocht und rücksichtslos genug war, um ein professionelles Drogensyndikat aufzubauen, hätte er dann Fingerabdrücke auf der Handtasche des einen Opfers hinterlassen?
Und warum war seine Hose nicht blutiger?
Und warum, in drei Teufels Namen, hatte er ein Schlachterbeil benutzt?
Der Eingang vom Hauptbahnhof tauchte im Schneegestöber vor ihr auf, sie trat ein und stampfte den Schnee von den Füßen.
Sie hatte erster Klasse reserviert, damit sie unterwegs Ruhe hatte und arbeiten konnte.
Der Zug fuhr um 7 Uhr 15 ab, in Hallsberg musste sie umsteigen, und um 9 Uhr 32 würde sie in Kumla sein. Die Rückfahrt hatte sie für 13 Uhr 28 reserviert. Sie freute sich schon jetzt darauf.
Der Hauptbahnhof war schwarz von Leuten, obwohl es in Annikas Universum immer noch extrem früh war.
Wieso kleidet sich im Winter niemand in Himbeerrot? Oder Knallorange? Entzieht uns die Natur, das Klima oder ein ungeschriebenes Gesetz alle Farben?
Sie hatte keine Zeit zum Frühstücken gehabt, deshalb kaufte sie sich am Kiosk einen Trinkjoghurt und einen Apfel.
Der Zug fuhr von Gleis zehn.
Er wurde gerade bereitgestellt, als sie auf den Bahnsteig kam. Sie fand ihren Wagen und ihren Platz, schälte sich aus der Daunenjacke, sank auf ihren Sitz und schlief augenblicklich ein.
Sie erwachte mit einem Ruck, als der Lautsprecher verkündete: «Hallsberg nächste Station, nächste Hallsberg». Verwirrt und schlaftrunken quälte sie sich wieder in ihre dicken Sachen und stolperte hinaus auf den Bahnsteig, nur Sekunden bevor die Türen sich schlossen und der Zug Richtung Süden weiterrollte.
Sie war schon drauf und dran, ins Taxi zu steigen, als ihr klar wurde, dass sie noch nicht in Kumla war. Noch sechs Minuten bis zur Abfahrt des Nahverkehrszuges.
Ich muss mich zusammenreißen, ich muss hellwach sein, wenn ich dem Axtmörder gegenüberstehe.
Sie schüttelte sich, um den Kopf frei zu bekommen, und musste rennen, damit sie den Zug Richtung Orebro nicht verpasste. Die flache Landschaft mit braunen Ackern und grauen Bauernhöfen breitete sich um sie aus; ihr Blick fand erst einen Halt, als er weit hinten am Horizont auf einen Streifen Nadelwald stieß, ganz verschwommen im Nebel.
Sie war die Einzige, die in Kumla ausstieg.
Es hatte aufgehört zu schneien. Die Feuchtigkeit hing schwer und kalt über dem Ort.
Der Zug ratterte davon und hinterließ dröhnende Stille. Sie blieb eine Weile stehen und horchte, sah sich um. ICA-Markt, Kirche der Pfingstlergemeinde, Hotel Kumla.
Zögernd ging sie Richtung Ausgang, ihre Absätze klapperten auf dem Beton.
Sie durchquerte einen grauen Tunnel und kam auf einem grauen Marktplatz wieder hoch, direkt vor einem Sibylla-Imbiss. Ihr war ganz schlecht vor Hunger, Apfel und Joghurt hatte sie im Zug vergessen. Sie trat an den Tresen und bestellte zwei Bratwürste im Fladenwickel, Krabbensalat und ein Mineralwasser. Sie verstand nicht, ob der Typ an der Kasse dreiundvierzig oder dreiundsiebzig Kronen sagte, also bezahlte sie sicherheitshalber mit einem Hunderter und bekam auf dreiundsiebzig heraus.
Für zwei armselige Würstchen!
Und das «Mineralwasser» erwies sich als simples Leitungswasser in einem Colabecher.
Kein Wunder, dass die Leute in diesem Kaff kriminell werden.
Sie verschlang die Würstchen in drei Minuten, warf die Serviette und die Hälfte des Krabbensalats in den Abfallkorb und ging über das Kopfsteinpflaster das Stück zum Taxistand. Ihr war jetzt richtig schlecht.
«Viagatan 4», sagte sie und stieg in einen Volvo.
«Hört sich nach einem sehr großen Gefängnis an», sagte der Taxifahrer.
«Ja», sagte Annika, «jetzt ist es so weit. Leb wohl, du grausame Welt.»
Der Taxifahrer schüttelte den Kopf.
«Falscher Knast», sagte er. «Da gibt's solche wie Sie nicht. Hinseberg liegt in Frövi, auf der anderen Seite von Örebro.»
«Ist es denn die Möglichkeit!»,
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