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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Hindernis, sie zu besuchen.
    «Mein Name ist Annika Bengtzon, ich bin Reporterin beim
Abendblatt»,
sagte sie dem Wachmann am anderen Ende. «Vor viereinhalb Jahren habe ich Julia Lindholm für eine Reportage beim Streifendienst begleitet, wir waren damals alle beide schwanger.
    Ich glaube, dass sie unschuldig ist, und ich möchte ein Interview mit ihr machen.
    Könnten Sie ihr meine Bitte übermitteln?»
    Sie hinterließ ihre Mobil- und ihre Festnetzrufnummer.
    Dann stand sie auf und rannte zum Zug, obwohl es immer noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt war.
    Sie stieg in Hallsberg um, genau wie auf der Hinfahrt. Sie zwang sich zur Ruhe, versuchte ihre Gedanken zu strukturieren und sie objektiv auszuwerten.
    Habe ich etwas entdeckt, oder habe ich Hirngespinste?
    Sie hatte eine Reservierung für die erste Klasse, Wagen eins, Platz zehn.
    Erst als sie durch sämtliche Wagen gegangen war, begriff sie, dass es im ganzen Zug keine erste Klasse gab. Alle Plätze sahen gleich aus, sie waren eng wie Sardinenbüchsen, und es gab noch nicht einmal einen Klapptisch in der Rückenlehne des Vordersitzes.
    Das war doch wieder typisch Schwedische Bahn. Immer schön kassieren und nichts dafür bieten.
    Der einzige besetzte Platz in Wagen eins war natürlich ausgerechnet Platz zehn. Ein massiger Mann hatte sich darauf niedergelassen und seine Aktentasche sowie seinen dicken Mantel um sich herum verteilt.
    Sie sank auf einen freien Sitz. Der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Nach nur einer halben Minute hatten sie die Ortschaft hinter sich gelassen. Sie starrte auf die Landschaft, die draußen vorbeiflog, nackte Laubwälder mit schwärzlichen Asten, Scheunen, ein verlassenes Schrottauto, eine Sammelstelle mit den zersägten Stämmen umgewehter Bäume, rote Häuschen und gepflügte Acker. Die Schwedische Heftzweckenfabrik, langgestreckte ummauerte Bauernhöfe und Nadelwald, Nadelwald, Nadelwald.
    Sie griff nach ihrem Handy und überlegte sorgfältig, wie sie ihre SMS formulieren sollte. Sie wollte nicht zu viel versprechen.
    Habe Filip Andersson besucht. Bin dadurch auf neue Idee gekommen. Glaube, dass Julia unschuldig sein könnte. Haben Sie Zeit, mich zu treffen?
    Sie seufzte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück.
    In Kilsmo schimmerte braungraues Wasser zwischen den Bäumen, drei Rehe verschwanden über eine Lichtung. Sie starrte ihnen hinterher, versuchte sie zwischen Stämmen und Unterholz auszumachen, aber sie waren schon weg, der Augenblick war vorüber, und sie wurde von der wohlvertrauten Landschaft überwältigt, in der sie aufgewachsen war, von Sörmland mit seiner Sturheit und abwartenden Verschlossenheit.
    Großmutter!
    Der Gedanke war so intensiv, dass es ihr kurz den Atem verschlug, die Erinnerung brannte in ihrer Brust. Sie schloss die Augen und war wieder in der Küche in Lyckebo, in der zugigen Hütte mitten im Wald, mit dem Hösjön-See zu Füßen und den rauschenden Tannenwipfeln über dem Kopf. Da war der Geruch von feuchtem Moos und tropfenden Zweigen, das Rascheln im Gebüsch und das Plätschern eines überfrorenen Baches. Da war das Transistorradio auf der Fensterbank, das am Samstagnachmittag die Hitparade und Eldorado spät am Abend spielte, nächtliche Unterhaltung und die Musik der Stars, und dann Großmutter, die machte und tat und strickte und las. Sie erinnerte sich an die Stille und an ihre eigenen Atemzüge, daran, wie die Pfifferlinge vom Frost spröde wurden und wie die Kälte beim Pilzesammeln in die Finger biss.
    Der Zug fuhr langsam in Vingäker ein, und sie öffnete die Augen wieder: ein Fußballfeld, ein Parkplatz, ein Mietshaus mit braunweißer Blechfassade. Ein Wimpernschlag, und schon waren sie durch den Ort hindurch, ein Raubvogel in einem Baum, noch ein See, konnte das der Kolsnaren sein?
    Wo werden meine Kinder ihre Wurzeln haben? Was wird ihnen Geborgenheit geben?
    Welche Düfte? Welche Räume? Welche Luft und welche Musik?
    Ein Schrottplatz, ein Villenviertel: Sie näherten sich Katrineholm.
    Die Zeit ist alles, was ein Mensch besitzt. Wie die fugend und das Leben ist sie eine Selbstverständlichkeit, solange man sie hat, aber dann auf einmal ist sie weg.
    Es dämmerte, und sie erkannte ihr Spiegelbild im Fenster, sie sah müde und mager aus. Nicht so attraktiv ausgemergelt wie die Filmstars, einfach nur knochig und hart.
    Der Zug hielt, da waren die Sparkasse und McDonald's und all die Häuser am Marktplatz, so schmerzlich vertraut und so unerreichbar. Sie hatte einmal dort

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