Lebenslang Ist Nicht Genug
erstenmal neben ihm die Straße entlangging, spürte sie, wie gefährlich dieser Mann war. Er strahlte eine elektrisierende Kraft aus, die sich am augenfälligsten in seinen Bildern manifestierte. Er malte wildbewegte Strudel in grellen Farben. Während den primitiven, fast kindlich anmutenden Werken ihres Vaters eine harmonische Ausgewogenheit innewohnte, zeigten Marks Bilder keine Struktur; sie gehorchten weder Stilprinzipien noch Kompositionsgesetzen. Die Farben flossen ineinander, das Zusammenspiel der Töne wirkte auf den unbefangenen Betrachter erschreckend, ja bestürzend, denn ständig fanden sich benachbarte Farben im Widerstreit miteinander. Es schien fast so, als wolle Mark Gallagher verhindern, daß seine Bilder so gut wurden, wie sie es mit ein wenig mehr Überlegung durchaus hätten sein können. Überlegen und Planen waren freilich nicht nach seinem Geschmack, doch er richtete sich nach keinem anderen. Das Bild, das er von Gail malte, war seltsam und unirdisch, ja erschreckend, weil ihm jegliche klare Begrenzung fehlte. Ihr Körper floß einfach mit der Wand zusammen, die als Hintergrund diente.
Bevor Mark zur Musterung ging, drohte er lauthals, er würde eher nach Kanada fliehen, als Soldat zu werden. Aber man befand
ihn für untauglich, und zwar weil er hoffnungslos, ja in gefährlichem Grad farbenblind war. Die Erkenntnis, daß er anderen nicht die Vision vermitteln konnte, die er im Geiste vor sich sah, und daß seine exzentrischen Geniestreiche keinem launischen Künstlergeist entsprachen, sondern nur einem körperlichen Gebrechen, bewog Mark, das Malen aufzugeben. Statt dessen wandte er sich nun der Fotografie zu. Porträts und Landschaften. Nur in Schwarzweiß.
Schon bald nach der Hochzeit begann Mark mehr Zeit als nötig mit einigen seiner Kundinnen zu verbringen, und nach fünf turbulenten Jahren mit gelegentlichen Seitensprüngen und eindrucksvollen Gesten der Reue (er kaufte ihr zum Beispiel einen Stutzflügel von dem Geld, das er den Damen abgeknöpft hatte, mit denen er eine Affäre hatte) setzte Gail einen Schlußstrich unter ihre Ehe. Sie hatte Mark nie wegen eines Treuebruchs zur Rede gestellt, das wäre zu schmerzlich für sie gewesen. Sie konzentrierte sich ganz auf Jennifer und auf ihr Klavierspiel. Als sie auszog, nahm sie nur diese beiden mit, und für eine ganze Weile blieben sie ihr einziger Lebensinhalt.
Mark zahlte den Unterhalt für seine Tochter, wann immer er flüssig war. Aber er verdiente nur unregelmäßig und neigte dazu, das eingenommene Geld gleich wieder auszugeben, falls es nicht ohnehin zur Tilgung seiner Schulden draufging. Als Gail ihn verließ, empfand sie keine Trauer, eher Erleichterung. Die ersten Jahre nach der Scheidung herrschte zwischen ihnen die unter Ex-Ehepartnern übliche Spannung, doch im Lauf der Zeit kehrte Ruhe ein, und zwischen ihnen entwickelte sich aufrichtige Zuneigung. Als Gail und Jack Walton heirateten, da konnte sie Mark mit Fug und Recht als ihren Freund bezeichnen. Ihre erste Begegnung mit Jack verlief ganz anders als die mit ihrem Exmann.
»Der Herr da hat ein Problem.«
Gail blickte vom Schreibtisch auf und sah das Mädchen fragend an. »Um was handelt sich’s denn?«
»Wir haben einen Scheck von ihm als ungedeckt retourniert, und nun behauptet er, sein Konto sei gar nicht überzogen.«
Gail, die erst vor kurzem befördert worden war, nahm die Mappe mit den Kontoauszügen entgegen und überprüfte sie aufmerksam. »Sieht aus, als ob er recht hätte«, sagte sie mit einem Blick auf den etwas verärgert wirkenden Mann, der jedoch geduldig vor dem Schalter wartete. »Ich werd’ selber mit ihm sprechen.« Gail ging lächelnd auf ihn zu. Sie war aufgeregt, ganz ohne Grund natürlich. Er gefiel ihr, noch ehe sie ein Wort mit ihm gewechselt hatte, auch wenn sie nicht wußte, warum.
Jack Walton war kleiner und stämmiger als Mark, aber er wirkte seltsamerweise größer, schien mehr Raum einzunehmen. Er sieht aus wie ein Wikinger, dachte sie, obwohl er keinen Bart trug und sein Haar braun war anstatt blond. Er wirkt einfach... tüchtig... ja, so als gäb’s kein Problem, das er nicht lösen könnte.
»Was ist Ihr Spezialgebiet, Dr. Walton?« fragte Gail, nachdem der Buchungsfehler behoben war.
»Ich bin Tierarzt.« Er lächelte. »Falls Sie ᾽ne kranke Katze daheim haben, steh’ ich Ihnen gern mit Rat und Hilfe zur Verfügung.«
Nun war es an Gail zu lächeln. »Ich werd᾽ mir eine besorgen«, sagte sie. Anderthalb Jahre
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