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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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gerettet«, wiederholte Gail ein ums andere Mal im Rhythmus ihrer Bewegung. Doch als sie auf ihre Tochter hinuntersah, da war es Cindy und nicht Jennifer, die sie in den Armen hielt. Sie preßte Cindy fest an ihre Brust. »Ich habe mein wunderschönes Baby gerettet.«
    Mit einem Ruck setzte Gail sich im Bett auf und sah nach der Uhr. Es war kurz vor sieben.
    Jack lag schlafend neben ihr. Behutsam beugte sie sich vor und stellte den Wecker ab.
    Alles war nur ein Traum gewesen.
    Aber dieser Traum war anders als die erdrückenden Träume voller Frustration, die sie bisher heimgesucht hatten. Das waren Alpträume gewesen, weil Gail sich in ihnen nicht wehren konnte. Nacht für Nacht hatte sie dem Mörder ihrer Tochter gegenübergestanden, aber jedesmal war sie unfähig gewesen, sich zu rühren, hatte auch nicht den kleinsten Schritt machen können, um ihr Kind zu rächen. Wenn sie schreiend aus jenen Träumen erwachte, war sie in kalten Schweiß gebadet gewesen, ihr Kopf hatte gedröhnt und ihr Herz wild geklopft..
    Jetzt empfand sie nur eine seltsame Ruhe und die gleiche merkwürdige Befriedigung, die sie schon am Abend zuvor überkommen
hatte, als sie von dem Ladenbesitzer in Florida las, der die beiden Möchtegern-Einbrecher niedergeschossen hatte, und von den aufgebrachten New Yorkern, die Selbstjustiz geübt hatten.
    Jack bewegte sich neben ihr. Gail beobachtete ihn, während er an der Grenze zwischen Schlaf und Bewußtsein schwebte. Ob auch er solche Träume hatte?
    Sie sah an ihrem Nachthemd hinunter. Das blaßrosa Mieder zeigte nicht einen der verräterischen roten Flecken ihrer Phantasie. Ihre Hände waren sauber und trocken.
    Sie stand auf, ging ins Bad, stellte sich neben die Wanne und betrachtete das fröhliche Tapetenmuster, während sie die kühlen Fliesen unter ihren Füßen spürte.
    Normalerweise wäre sie jetzt unter die Dusche gegangen.
    Aber heute morgen schien das ein zu jäher Auftakt für den Tag. Sie brauchte ein langsameres, sanfteres Erwachen.
    Sie ließ sich ein Bad ein. Nach wenigen Minuten lag sie friedlich in der Wanne, blickte auf die in ihrer Phantasie mit Blut bespritzten Wände und hing dem Traum nach, sie habe ihre kleine Tochter gerettet.

13
    Fast unmerklich änderte sich während der kommenden Wochen der Rhythmus im Haushalt der Waltons. Gail stand zwar morgens immer noch als erste auf. Sie machte nach wie vor das Frühstück für Mann und Tochter, räumte den Tisch ab, sobald die beiden gegessen hatten, und verabschiedete sie, wenn sie das Haus verließen, Jack, um in seine Praxis zu fahren, Jennifer, um ihrem Vater zu assistieren. Gail wusch ab wie immer, ging hinauf, machte die Betten und holte Fleisch fürs Abendbrot aus der Gefriertruhe. Dann nahm sie sich die Morgenzeitung vor, daneben
griffbereit die Straßenkarten von New Jersey. Sie war Lieutenant Coles Meinung: Im Interesse ihrer Nachforschungen mußte sie davon ausgehen, daß Cindys Mörder den Staat nicht verlassen hatte. War er fortgezogen, gab es keine Hoffnung mehr, ihn zu finden. Gail redete sich ein, der junge Mann mit dem aschblonden Haar, der ihre sechsjährige Tochter vergewaltigt und umgebracht hatte, sei immer noch irgendwo in Reichweite. Er lebte zurückgezogen in New Jersey, vielleicht sogar noch in Livingston. Es kam nur darauf an, ihn aufzuspüren.
    Sie beschloß, sich auf dieselben Viertel zu konzentrieren wie die Polizei - East Orange, Orange, eventuell auch Newark, Bezirke mit hoher Fluktuationsrate, in denen ein Durchreisender leicht anonym bleiben konnte und wo der Begriff »ohne festen Wohnsitz« nicht nur eine griffige Formulierung für die Presse war. Aber im Gegensatz zur Polizei würde Gail sich nicht geschlagen geben.
    Ungeachtet ihrer Entschlossenheit war sie nervös. Schließlich war sie nur ein Amateur. Die Polizisten waren Profis und hatten trotzdem nichts erreicht. Immerhin hatte sie in den letzten vierzehn Tagen die meiste Zeit darauf verwandt, sich vorzubereiten. Auf den Karten kannte sie sich inzwischen bestens aus, und es gab kaum noch etwas, das sie hätte aus Büchern und Zeitungen lernen können. Lieutenant Cole wußte nichts Neues zu berichten. Sie hatte lange genug gezögert.
    Am Morgen des 18. Juli spürte Gail, daß es an der Zeit sei, die Karten wegzulegen und hinaus auf die Straße zu gehen. Hatte sich Sharon Tates Vater nicht einen Bart wachsen lassen, Hippie-Kleidung angezogen und mit den Aussteigern am Sunset Strip zusammengelebt, als er auf der Suche nach den unmenschlichen

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