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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Zigarette zu drehen. »Was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht?«, fragte er, ohne aufzuschauen. Es war klar, dass er damit Yvonne meinte.
    »Ich hab sie mir abrasiert«, sagte sie nur.
    »Ich weiß zwar nicht, wie du vorher ausgesehen hast, aber ich finde es gut. Du hast eine schöne Kopfform.«
    »Ach wirklich?«
    »Ja, klassisch. Fast ägyptisch.« Er zündete seine Zigarette an. »Komplimente sind nicht dein Ding, was?«
    »Nein, nicht wirklich.«
    Hermann sah von ihr zu Thomas, nippte an seinem Becher und zog noch einmal an seiner Zigarette. Dann holte er eine Kopie der Zeichnung aus seiner Hosentasche. »Eigentlich rede ich nicht über Kollegen. Ich bin ein Freund der Omertà, wenn du weißt, was ich meine.«
    Yvonne sah auf seiner Hand drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger. Wie Thomas.
    »Aber ich bin meinem Freund noch einen Gefallen schuldig.« Er zog noch einmal die Nase hoch und räusperte sich. »Jedenfalls kenne ich den Kerl, den du suchst.«
    Yvonne drückte ihren Rücken durch. Ihr Herz schlug schneller. »Wie heißt er?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wo er Platte macht. Aber ich kann mich noch ziemlich gut an ihn erinnern. Er mochte nämlich Kinder.«
    Fliegen auf nackter Haut.
    Ein zerrissenes T-Shirt.
    Blut. So viel Blut.
    Yvonne spürte, wie ihre Füße wieder zu kribbeln begannen.
    »Was heißt das: Er mochte Kinder?«, fragte Thomas.
    »Na ja«, sagte Hermann und kratzte sich am Arm. »Der Kerl saß auf meinem Stammplatz, einer sehr einträglichen Ecke oben in Bornheim. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, also habe ich versucht, ihn zu vertreiben. Er ließ sich aber nicht von mir beeindrucken. Saß einfach da und starrte geradeaus. Am liebsten hätte ich ihm eine verpasst, aber der Typ war mir nicht geheuer.« Hermann deutete mit zwei Fingern auf seine Augen. »Ich habe seinen Blick gesehen. Mir wird jetzt noch kalt, wenn ich daran denken muss. Da war kein Funken Leben mehr in ihnen, so sah es zumindest für mich aus. Ich kenne solche Typen, ich war mal im Knast, da laufen noch mehr von diesem Kaliber herum. Sie essen und trinken und scheißen und pissen, wie jeder andere Mensch auch. Aber innerlich sind sie tot wie ein überfahrener Köter.«
    »Aber Sie sagten, dass er anders war«, erwiderte Yvonne.
    Hermann nickte. »Da war dieses kleine Mädchen, sechs oder sieben Jahre alt. Ganz süßer Fratz, mit großen Augen und knubbeligen Knien. Es stand vor ihm, mit einem Eis in der Hand, das langsam zu schmelzen begann. In der anderen hielt es zwei Euro, die das Kind ganz behutsam in die Mütze tat, die der Kerl vor sich hingelegt hatte.« Hermann hielt inne, als versuchte er, dieses Bild noch einmal vor seinem inneren Auge zu betrachten. »Und dann tat der Typ etwas, womit ich überhaupt nicht rechnete. Er hockte sich auf seine Knie, so hatten beide in etwa dieselbe Größe, und er umarmte das Kind, drückte es fest an sich, und es war ihm egal, dass das Eis sein Hemd vollschmierte. Das Kind begann zu weinen.« Hermann hustete so heftig, dass sein runder Bauch wackelte und zu platzen drohte. »Die Mutter kam angerannt, riss das Kind zurück und schrie den Mann an, was ihm einfiele, ihre Tochter anzufassen, und ob sie die Polizei rufen solle. Sie nannte ihn einen Perversen, der seine Finger nicht bei sich halten konnte. Das Kind weinte noch immer.« Hermann neigte sich zur Seite und holte aus seiner Hosentasche Tabak hervor, um sich eine neue Zigarette zu drehen.
    »Hat er ihr wehgetan?«, fragte Thomas.
    »Es sah nicht so aus.« Hermann schüttelte den Kopf. »Nein, da bin ich mir eigentlich sicher. Er hat sie nur ganz liebevoll in die Arme genommen.«
    »Und was ist dann geschehen?«, fragte Yvonne.
    »Die Mutter beruhigte sich überhaupt nicht mehr. Mittlerweile waren auch noch andere Leute stehen geblieben, die gar nicht mitbekommen hatten, was eigentlich passiert war. Jedenfalls schien der Kerl zu spüren, dass die Lage für ihn ein wenig brenzlig wurde. Also packte er wortlos seine Sachen zusammen und verschwand.«
    »Einfach so?«, fragte Thomas.
    »Ja, einfach so. Der Kerl hatte ein Dutzendgesicht. Und wahrscheinlich hätte ich mich auch nicht mehr an ihn erinnern können, wenn diese Sache nicht passiert wäre.«
    »Was für einen Eindruck machte er auf Sie?«, fragte Yvonne, die auf einmal auch Lust auf eine Zigarette verspürte.
    »Er war anders als alle anderen Kollegen. Ich weiß nicht, wie oft hattest du es schon mit Pennern zu tun?«
    Yvonne

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