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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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schüttelte den Kopf. »Ich kann es selber eigentlich nicht beschreiben. Deswegen würde ich Sie gerne näher kennenlernen.«
    »Sie sind sehr direkt«, stellte Yvonne fest.
    »Ich bin keine sechzehn mehr. Wenn ich eine Frau attraktiv finde, dann sage ich ihr das auch.«
    Yvonne lachte schallend.
    »Aber Sie sind attraktiv!« Thomas klang beinahe empört.
    »Natürlich«, erwiderte Yvonne und schüttelte den Kopf.
    »Im Ernst! An der Frisur könnten Sie vielleicht noch arbeiten. Aber eigentlich ist auch die okay.« Nun öffnete er auf seiner Seite das Fenster. »Hermann hat recht. Sie haben es nicht so mit Komplimenten, oder?«
    »Sie wollten wissen, was mir passiert ist? Ich war in einem Einsatz, eigentlich eine Lappalie. Das ist das, was man mir später erzählt hat. Es ging um eine Personenkontrolle, als plötzlich Schüsse fielen. Einer hat mich getroffen.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf die kleine Narbe über ihrem rechten Ohr.
    »Und wer hat ihn abgefeuert?«
    »Das weiß man bis heute nicht. Um das herauszufinden, müsste man mir erst die Kugel aus dem Kopf herausoperieren, aber sie sitzt so ungünstig, dass ich den Eingriff entweder nicht überleben würde oder aber sehr wahrscheinlich ein dauerhafter Pflegefall bliebe. Wenn man so will, bin ich mein eigener ungeklärter Fall.«
    »Und diese Kugel bereitet Probleme«, stellte Thomas fest.
    Yvonne lachte humorlos. »Ja, eine nette Umschreibung. Mein Langzeitgedächtnis ist so gut wie ausgelöscht und mein Kurzzeitgedächtnis eine einzige Baustelle. Wichtige Dinge muss ich mir immer sofort notieren, bevor ich sie vergesse. Aber am schlimmsten sind die epileptischen Anfälle, die durch die Kugel verursacht werden. Als diese Anfälle jetzt stärker wurden, hat man festgestellt, dass sich ein Hirnabszess bildet.«
    »Das war an dem Tag, als Sie an der Universitätsklinik in mein Taxi gestiegen sind. Sie wollen sich nicht operieren lassen?«
    »Nein.«
    »Und diese epileptischen Anfälle, verursachen sie auch manchmal Visionen oder Halluzinationen? Verstehen Sie mich nicht falsch«, beeilte er sich zu sagen. »Aber haben Sie sich auch einmal überlegt, ob der Mann nicht ein Resultat Ihrer Phantasie sein könnte.«
    »Ich bin nicht verrückt«, erwiderte Yvonne mit einer geradezu schneidenden Kälte. »Der Mann existiert. Ich habe ihn gesehen. Und Ihr Freund Hermann kennt ihn. Was Hermann über ihn erzählt hat, passt, denn wenn ich eine Vision von ihm habe, sehe ich dabei auch die Leiche eines Mädchens.«
    »Wenn wirklich ein Kind ermordet worden wäre, stünde es in der Zeitung«, gab Thomas zu bedenken, als wäre ihm die Ungeheuerlichkeit des Geständnisses nicht aufgefallen.
    »Aber nur, wenn es bereits gefunden worden ist.«
    »Gehen Sie zur Polizei. Fragen Sie nach. Sie haben doch bestimmt noch gute Kontakte.«
    »Nein, die habe ich nicht mehr.«
    »Warum?«
    »Es hat einige unschöne Diskussionen gegeben, nachdem man auf mich geschossen hatte.«
    Sie hatten die Souchaystraße erreicht, und Thomas hielt in einer Einfahrt. Er machte den Motor aus. »Und nun?«
    »Und nun werde ich Sie bezahlen. Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Schuldig sind Sie mir gar nichts, aber wenn Sie die Fahrt bezahlen wollen, dann bekomme ich 52Euro von Ihnen.«
    Yvonne öffnete ihr Portemonnaie und gab ihm sechzig. »Stimmt so.«
    »Danke«, sagte Thomas.
    »Ich habe zu danken«, sagte Yvonne. Sie reichte ihm die Hand zum Abschied.
    »Passen Sie auf sich auf«, sagte Thomas. »Sie wissen ja, wenn Sie ein Taxi brauchen, rufen Sie mich an.«

I ch kann das Leben draußen kaum noch ertragen. Es ist Sommer, strahlender Sonnenschein. Im Haus ist es warm und stickig. Ich habe die Fenster gekippt und die Jalousien heruntergelassen. Es gibt so viele Dinge, die ich eigentlich tun müsste. Die Küche sieht aus wie ein Schweinestall, gestern ist die Spülmaschine kaputtgegangen. Im Haus müsste überall gesaugt werden. Die schmutzige Wäsche habe ich achtlos die Kellertreppe hinuntergeworfen. Das Bad ist so schmutzig, dass es mich ekelt. Die Flurbeleuchtung im ersten Stock funktioniert nicht mehr, denn die Birne ist durchgebrannt. Die Tiefkühltruhe ist leer, der Kühlschrank sowieso. Eigentlich müsste ich einkaufen gehen, aber ich kann mich nicht aufraffen. Alles ist eine einzige Qual, eine unerträgliche Anstrengung für mich.
    Astrid hat seit drei Tagen das Bett nicht mehr verlassen. Sie redet nicht mehr, zumindest nicht mit mir. Manchmal höre ich durch die geschlossene

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