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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Kindern zu haben«, sagte er. »Vor einem halben Jahr trieb er sich mal vor einer Grundschule im Westend herum. Er saß auf einer Bank, hatte sein Frühstück mitgebracht und verbrachte wohl den ganzen Vormittag damit, den Kindern beim Spielen zuzuschauen.«
    »Sie haben nicht mit ihm gesprochen?«
    »Natürlich nicht. Ich saß in einem Bus, der an der Schule vorbeifuhr.« Er trat seine Kippe aus und stand auf. »Wenn Sie den Kerl wirklich suchen, werden Sie ihn wahrscheinlich da finden, wo es auch jede Menge Kinder gibt. Aber nehmen Sie sich in Acht. Er ist gefährlich, glauben Sie mir das.«
    »Ein Mann, Mitte bis Ende fünfzig, durchschnittliche Figur, durchschnittliches Aussehen, durchschnittliche Größe, durchschnittliches Gewicht«, zählte Yvonne auf, als Thomas sie in seinem Taxi nach Hause fuhr. »Nicht sesshaft, nicht gemeldet und offensichtlich noch nicht einmal krankenversichert, was darauf schließen lässt, dass er kein Hartz IV bezieht. Dennoch muss er irgendwo eine Unterkunft haben, denn wenn er tatsächlich auf der Straße leben würde, sähe er nicht so gepflegt aus. Er verdient sein Geld mit Schnorren oder vielleicht als Tagelöhner. Und er ist in Kinder vernarrt.«
    Thomas sagte kein Wort, sondern schien sich aufs Fahren zu konzentrieren. Yvonne saß diesmal neben ihm.
    »Sie glauben also, dass dieser Kerl ein Kinderschänder ist.«
    »Ja«, antwortete Yvonne.
    »Warum?«
    »Liegt es nicht auf der Hand?«, entgegnete sie.
    »Was lässt Sie da so sicher sein?«
    Yvonne presste die Lippen aufeinander. Sie konnte ihm natürlich Genaueres von den Visionen erzählen, die sie hatte. Den schrecklichen Bildern, der grässlich zugerichteten Kinderleiche. Aber hätte sie das in seinen Augen glaubwürdiger gemacht? Mit Sicherheit nicht. »Ich weiß es eben«, antwortete sie knapp.
    »Und was wollen Sie jetzt tun? Sich auf die Suche nach dem Kerl machen? Alleine, auf einen vagen Verdacht hin? Sie haben gehört, was Hermann gesagt hat. Er glaubt, dass der Typ gefährlich ist.«
    Yvonne blieb stumm. Thomas konzentrierte sich wieder auf den Verkehr und schwieg seinerseits.
    Seit Roberts Tod hatte sich Yvonne mit keinem Mann mehr getroffen. Und nach dem Vorfall, so nannte sie für sich die Kugel in ihrem Kopf, hatte sie ohnehin nicht mehr die Geduld aufbringen können, eine neue Beziehung zu wagen. Yvonne war zu sehr mit sich beschäftigt, als dass sie einen Mann in ihrem Leben hätte ertragen können.
    Einmal hatte sie einen Versuch gewagt. Es war ihr Physiotherapeut gewesen, der sich nach ihrer langen Zeit im Krankenhaus um sie gekümmert hatte. Ein netter Kerl, freundlich, warm und offenherzig. Aber der Vorfall hatte sie ungeduldig, reizbar und impulsiv gemacht. Es waren Kleinigkeiten gewesen, die sie gestört hatten. Dass er unentwegt redete, ständig gute Laune hatte und immer so schrecklich verständnisvoll war. Florian hatte sie dazu ermuntert, das Wagnis einer neuen Beziehung einzugehen, und sie hatte auf ihn gehört. Kurz, es war die Hölle gewesen. Manfred, alleine dieser Name, hatte sich zu einer überfürsorglichen Krake entwickelt, die sie auch zu Hause weiter therapieren wollte. Nach zwei entnervenden Wochen war Schluss gewesen, und sie hatte ihn vor die Tür gesetzt. Es war ein regelrechter Befreiungsschlag gewesen. Yvonne kam ganz gut alleine mit sich zurecht. Das hatte sie zumindest immer geglaubt, bis ihr die Diagnose bei der letzten Untersuchung den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
    Zum ersten Mal seit einer langen Zeit war sie nun froh, nicht alleine zu sein. Und genau genommen war ihre Bekanntschaft mit Thomas auch kein Date. Er fuhr Taxi, und sie bezahlte ihn. Das war eine Basis, auf der sie ganz gut leben konnte. Keine Verpflichtungen, keine falschen Hoffnungen, keine Enttäuschungen. Und trotzdem hatte der Mann, neben dem sie saß, eine Ausstrahlung, der sie sich nicht entziehen konnte. Er schien in sich zu ruhen, ohne seine Gelassenheit zur Schau tragen zu müssen. Yvonne nahm ihm ab, dass er sich nur um die Dinge Gedanken machte, die er auch ändern konnte.
    »Sie haben mir noch immer keine glaubwürdige Antwort auf die Frage gegeben, warum Sie mich wiedersehen wollten«, sagte sie unvermittelt, wobei sie selbst ganz überrascht war, dass sie ihm diese Frage stellte.
    »Weil ich Sie interessant finde«, sagte er mit einer entwaffnenden Offenheit.
    »Interessant im Sinne von exotisch?«
    »Nein, interessant im Sinne von interessant.«
    »Geht es vielleicht etwas genauer?«
    Er

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