Lebenslang
Schlafzimmertür, wie sie Selbstgespräche führt. Wenn ich dann die Tür öffne, schaut sie mich an, als hätte ich sie bei etwas Intimem gestört.
Ich gehe hinaus in den Garten, weil ich mir vorgenommen habe, wenigstens den Rasen zu mähen. Dann sehe ich den alten Sandkasten in der Ecke stehen, den wir eigentlich schon im vergangenen Jahr hatten abbauen wollen, aber Julia hat darauf bestanden, dass wir ihn stehen lassen, obwohl sie schon lange nicht mehr in ihm gespielt hat. Sie hat sich nicht von ihm trennen wollen. Genauso wie von vielen anderen Dingen, die sie überall im Haus verstreute.
Zwar hatte sie immer wie eine Erwachsene behandelt werden wollen, aber in ihrem Inneren war sie immer ein kleines Kind geblieben. Ich decke den Sandkasten wieder zu.
Das Gras ist knöchelhoch gewachsen, der Boden fühlt sich unter meinen nackten Füßen wie ein schlecht umgepflückter Acker an. Der Rasenmäher, ein Handgerät, das für das kleine Grundstück gerade groß genug ist, steht im Carport. Ich muss nur zehn Schritte gehen, um ihn zu holen, aber alleine schon beim Gedanken daran verlässt mich die Kraft.
Auf der anderen Seite des Gartenzauns steht jemand. Es ist die Nachbarin, Frau Beckermann. Sie grüßt mich, und ich grüße zurück. Sie fragt mich nicht, wie es mir geht. Sie weiß überhaupt nicht, worüber sie mit mir sprechen soll. Ich weiß es umgekehrt auch nicht. Frau Beckermann geht zurück in ihr Haus und schließt die Terrassentür. Ich höre, wie Vorhänge zugezogen und die Jalousien heruntergelassen werden.
Viele unserer Freunde haben sich von uns abgewandt. Wer will schon die Nachmittage und Abende mit Menschen verbringen, die nur noch ein Thema kennen? Anfangs haben sie stumm zugehört und mitfühlend genickt, wenn ich über Julia gesprochen habe. Wie sie als Baby war, wo wir unsere Ferien verbracht haben, ihre Zeit in der Schule und, ja, auch die Auseinandersetzungen, die wir manchmal hatten.
Oliver hat versucht, mit mir Fußball zu schauen, aber ich konnte mich nicht auf das Spiel konzentrieren. Schließlich ließen wir es bleiben. Er hat sich von Monique getrennt. Über den Grund redet er nicht. Auch seine Besuche sind seltener geworden. Eigentlich warten wir nur noch darauf, dass die Polizei Julias Leiche freigibt, damit wir sie beerdigen können. Ihr Tod ist mittlerweile keinen Artikel mehr in den Zeitungen wert. Noch immer wird alles vom Fußball verdrängt. Es sieht so aus, als hätte Deutschland gute Chancen, Weltmeister zu werden.
Ich höre die Glocken der Kirche. Es ist Mittag, und ich habe keinen Hunger.
Es gibt zu viel, was getan werden muss, und ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Was die Illustrationen angeht, hat mir der Verlag natürlich einen Aufschub eingeräumt. Aber ich kann es mir nicht leisten, die Zeichnungen einen oder zwei Monate später abzugeben. Ich weiß nicht, wie viel so eine Beerdigung kostet. Gestern stand der Pfarrer bei uns vor der Tür. Nachdem dieser Bertram schon keinen Erfolg bei uns hatte, versucht nun er sein Glück. Ich kann seine Betroffenheit nicht ertragen. Er kennt Julia nicht. Was soll er also sagen, um mich zu trösten. Ich habe ihn rausgeschmissen. Vielleicht sollte ich mich doch einmal um die Wäsche kümmern.
Ich gehe hinunter in den Keller und schalte das Licht ein. Die schmutzige Wäsche ist ein riesiger, unordentlicher Haufen. Es ist schon lange her, dass ich eine Waschmaschine bedient habe. Früher, als ich noch alleine lebte, war das kein Problem. Mittlerweile sind die Dinger so kompliziert geworden, dass man studieren muss, um sie bedienen zu können. Außerdem hat Astrid es nie zugelassen, dass ich die Wäsche wasche. Sie hat immer Angst, dass ich die schmutzigen Kleidungsstücke nicht ordentlich sortiere, das falsche Waschmittel wähle oder nicht die richtige Temperatur einstelle. Ich lege die Wäsche auf drei Haufen. Einen für schwarze Wäsche, einen für bunte und einen für weiße, halte aber inne, als ich eine von Julias Hosen in der Hand halte. Ich runzele die Stirn und betrachte sie von allen Seiten. Plötzlich werde ich wütend. Julias Sachen sind ein Schatz, den ich unbedingt bewahren muss. Ich frage mich schon lange, wie ich ihren Geruch konservieren kann.
Tagelang habe ich in ihrem Bett geschlafen, bis ich merkte, dass das Kissen und die Decke immer mehr meinen eigenen Geruch annehmen. Also habe ich aus dem Keller eine Luftmatratze geholt, sie aufgeblasen und auf den Teppich gelegt. Auf ihr schlafe ich jetzt, obwohl sie so
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