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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Schottland, und so weiter. Sie haben sie noch nicht gefunden. Aber sie sind ihr auf den Fersen.«
    »In gewisser Weise wünschte ich, sie würden«, sagte Louise. »Sie finden.«
    »Wirklich?«
    Eine Kriminalmeisterin namens Abbie Nash steckte den Kopf zur Tür herein und sagte: »Boss? Sie wollten was von mir.«
    »Ja, rufen Sie die Autovermietungen an und finden Sie heraus, ob Joanna Hunter am Mittwoch einen Wagen gemietet hat. Und Abbie«, sagte Louise und reichte ihr Joanna Hunters Handy. »Lassen Sie jemand anders die Nummern auf dem Handy überprüfen, es gehört auch Joanna Hunter.«
    »Sofort, Boss.« Abbie war eine kleine, stämmige Frau, die aussah, als könnte sie bei einem Faustkampf ihren Mann stehen. Sie hatte mehr Phantasie, als ihr schlechter Haarschnitt nahelegte. »Sandy Mathieson sagt, dass sie die Überlebende des Mason-Massakers ist«, sagte sie. »Ich habe sie gegoogelt. Gerüchteweise ist sie wieder verschwunden.«
    Louise fragte sich, wie viele Menschen sterben mussten, damit aus einem Mord ein Massaker wurde. Doch bestimmt mehr als drei?
    »Chips?«, sagte Karen und hielt beiden eine knisternde Tüte hin. »Roastbeefgeschmack.« Abbie Nash nahm eine Handvoll, aber Louise winkte ab, ihr wurde allein vom Geruch übel. Auf diese Weise musste man zum Vegetarier werden.
    »Ich will nur wissen, wo sie ist und ob alles in Ordnung ist«, sagte Louise. »Und ich will sicher sein, dass sich Andrew Decker nicht in ihrer Nähe aufhält.«
    Was hatte Reggie gesagt? Hat irgendjemand mit ihr gesprochen? Nein, offenbar nicht. »Das Problem ist, dass sie verschwunden ist, aber niemand sie als vermisst gemeldet hat.« Louise seufzte. »Ich glaube, es ist ein Fall von cherchez la tante.«
     
    Komisch, hätte Reggie Chase gesagt. Neil Hunters Reaktion auf den verwirrenden Fund des Handys seiner Frau hätte Ingrid Bergman in Haus der Lady Alquist alle Ehre gemacht, war jedoch längst nicht so sehenswert wie seine Miene, als der Motor des Prius zufrieden schnurrte, nachdem Louise ihn angelassen hatte. »Wunderheilung?«, sagte sie unschuldig zu Neil Hunter.
    Er versuchte es mit Lachen. »Brauche ich einen Anwalt?«, sagte er.
    »Das weiß ich nicht. Brauchen Sie einen?«, sagte sie.

Bleib bei mir
    S ie war neun, als Martina starb. Sie kam von der Schule nach Hause – ihr Vater war nirgendwo zu sehen –, als zwei Männer eine in ein Laken gewickelte Leiche auf einer Trage von oben heruntertrugen.
    Joanna war nicht sicher, wer es war, bis sie in Martinas Zimmer lief, die zerwühlten Laken und die leeren Flaschen auf dem Boden sah und etwas Kränkliches roch, das auf eine Katastrophe deutete.
    Martina hatte eine Notiz hinterlassen auf einer blumengemusterten Karte, Teil des Briefpapiers, das Joanna ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie lag auf dem Kaminsims im Esszimmer und war von der Polizei übersehen worden. Sie enthielt nichts Denkwürdiges, kein Gedicht, nur ein verschlafenes Gekritzel, »Zu viel« und etwas auf Schwedisch, was für immer unübersetzt blieb.
    Sie suchte ihren Vater und fand ihn in seinem Arbeitszimmer, wo er sich bis auf den Grund einer Whiskyflasche vorgearbeitet hatte. Sie stand auf der Schwelle und hielt die Karte hoch. »Martina hat dir was geschrieben«, sagte sie, und er sagte, »Ich weiß«, und warf die Whiskyflasche nach ihr.
     
    Eine Weile blieben Joanna und ihr Vater allein. Nachdem sie zu ihm gezogen war, nachdem alle, die sie liebte, tot waren, hatte er ein Kindermädchen eingestellt, eine vertrocknete Stange von einer Hexe in strenger Kleidung, die glaubte, dass Joanna die Tragödie am besten überwinden würde, wenn man so tat, als hätte sie sich nie ereignet.
    Es dauerte lange, bevor Joanna zur Schule gehen konnte. Jedes Mal, wenn sie sich dem Schultor näherte, sackten ihr die Beine weg, und der Psychiater, den ihr Vater zu Rate zog (ein Mann in Tweed, der nach Zigaretten roch und mit dem sie lange und verlegen schwieg), schlug vor, sie eine Zeitlang zu Hause zu unterrichten, und so musste das Kindermädchen doppelten Dienst tun als Gouvernante und Lehrerin, die Joanna jeden Tag Unterricht gab, schrecklich langweilige Arithmetik- und Englischstunden. Wenn sie etwas falsch oder einen Klecks in ihre Hefte machte oder nicht aufpasste, schlug sie Joanna mit dem Lineal auf die Hand. Als Martina das Kindermädchen einmal bei einem Schlag erwischte, griff sie nach dem Lineal und schlug ihr damit ins Gesicht.
    Es gab ein fürchterliches Theater, das Kindermädchen sprach

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