Lebenslügen / Roman
wieder, als wäre die Erinnerung Teil einer seit langem geschätzten amüsanten Geschichte (Wie ich deinen Vater kennengelernt habe). »Er war hartnäckig«, sagte sie, »und schließlich habe ich nachgegeben.«
Ich auch, dachte Louise und sagte, »Meine Mutter und mein Vater haben sich im Urlaub kennengelernt«, und Joanna Hunter sagte, »Ah, eine Urlaubsromanze!«, und Louise sagte nicht, dass er sie in einer Bar auf Gran Canaria aufgegabelt hatte und sie sich nie an seinen Namen erinnern konnte, was jedoch nicht weiter wichtig war, weil er nicht der einzige Anwärter für die begehrte Rolle von Louises komplett abwesendem Vater war.
»Warum war Mr. Hunter in der Notaufnahme?«, fragte Louise.
»Ein paar Schläger hatten ihn verprügelt.«
Unfallneigung, schlechte Gesellschaft, alle Anzeichen waren von Anfang an da. Warum um alles in der Welt ging die schöne Ärztin mit jemandem wie ihm aus?
»Mir gefiel seine Energie«, sagte sie unaufgefordert. Hunde sind energiegeladen, dachte Louise, lächelte und sagte: »Ja, das hat meine Mutter über meinen Vater auch gesagt.«
Sie sagte Joanna Hunter nichts von dem Feuer in der Spielhalle, es schien unhöflich angesichts der Neuigkeiten, mit denen sie zu ihr gekommen war.
»Sagen Sie Jo zu mir«, sagte Dr. Hunter.
»Es gibt nichts Konkretes, das Hunter mit den Typen aus Glasgow in Verbindung bringen ließe«, sagte Louise zu Marcus. »Vielleicht sind Anderson und Hunter gemeinsam in die Grundschule gegangen.«
»Also, auf der Straße hört man, dass Hunter kurz davor steht, unterzugehen«, sagte Marcus. »Schon seit einer Weile. Mit Anderson Geschäfte zu machen könnte eine Möglichkeit sein, es zu verhindern, aber das Gleiche gilt für das Versicherungsgeld wegen des Feuers.«
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Louise und nahm die Akte.
»Boss?«
»Was? Nicht mein Job, weil ich so ein hohes Tier bin? Er wohnt um die Ecke von mir. Ich schaue morgen früh auf dem Weg zur Arbeit bei ihm vorbei.« Sie sagte nicht: Ich lese mich durch das Werk seines Schwiegervaters. Ganz bestimmt sagte sie nicht: Ich bin fasziniert von Joanna Hunter, sie ist mein Alter Ego, die Frau, die ich nie geworden bin – eine gute Überlebende, eine gute Ehefrau, eine gute Mutter. »Der Staatsanwalt soll uns einen Durchsuchungsbefehl ausstellen, damit wir an Hunters Unterlagen können.«
»Ja, Boss.« Er war enttäuscht, weil ihm der Fall buchstäblich vor der Nase weggeschnappt wurde.
»Ich will nur mit ihm reden«, beruhigte ihn Louise, »dann kriegen Sie ihn zurück. Es gibt da eine Verbindung, ich musste gestern zu seiner Frau.«
»Zu seiner Frau?«
»Joanna.«
Kriminalkommissarin Karen Warner betrat durch die offene Tür Louises Büro und ließ einen Stapel Akten auf ihren Schreibtisch fallen. »Deine, glaube ich«, sagte sie und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Schreibtisch. Ein wandelnder Aktenschrank, im achten Monat schwanger mit ihrem ersten Kind, und immer noch arbeitete sie. (»Ich werde mit wehenden Fahnen untergehen, Boss.«) Sie war älter als Louise (»Späte Primigravidas – klingt das nicht widerlich?«). Die Mutterschaft würde ein Schock für sie werden, dachte Louise. Sie war dabei, mit neunzig Stundenkilometer gegen eine Mauer zu rasen, und würde sich später fragen, was passiert war.
Karen war noch im Needler-Team, das jetzt nur noch halb so groß war wie vor dringenden sechs Monaten, von St. Leonard nach Howdenhall zurückgekehrt und in einem kleineren Raum untergebracht. Louises Chef hatte gemeint, sie solle beim Needler-Fall »zurückschrauben« und sich wieder anderen Fällen zuwenden. »Sie sind besessen von Alison Needler«, sagte er.
»Ja«, stimmte sie ihm freudig zu. »Das bin ich. Das ist mein Job.«
Karen riss ein Snickers auf und biss hinein, tätschelte ihren Bauch. »Erlaubnis zum Essen«, sagte sie zu Louise. »Willst du ein Stück?«
»Nein, danke.«
Louise war am Verhungern, aber sie hatte keinen Appetit. Die Ehe schien ihrem normalerweise guten Appetit nicht zu bekommen. Patrick wurde immer gesünder, während sie dahinzuschwinden schien. Als Jugendliche hatte sie kurzzeitig mit Bulimie geflirtet, zwischen Ritzen und einer frühen Runde Saufen (Bacardi mit Coke, allein schon bei dem Gedanken hätte sie jetzt kotzen können), aber all das waren Süchte, und deswegen hatte sie damit aufgehört. In ihrer Familie war nur Platz für eine Süchtige, und ihre Mutter hatte nicht die Absicht gehabt, diesen Platz zu
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