Lebenslügen / Roman
Ms MacDonald hatte einen funktionierenden Fernseher, wenn auch leider nicht das umfangreiche Kabelpaket der Hunters, und Reggie hatte die Bücher und ein Essen für ihre Mühen, und die gesamte Versammlung (von acht Leuten) sagte ein Gebet für sie, was kein geschenkter Gaul war, dem Reggie ins Maul schauen würde. Sie mochte nicht an das Zeug glauben, aber es war nett, dass jemand an ihr Wohlergehen dachte, auch wenn es Ms MacDonalds Herde von Irren war, denen Reggie aufgrund ihres Vollwaisenstatus leid tat, was Reggie nur recht war, je mehr Leuten sie leid tat, umso besser. Das galt allerdings nicht für Dr. Hunter. Sie wollte nicht, dass Dr. Hunter sie für etwas anderes als auf heldenhafte, gutgelaunte Weise kompetent hielt.
Als der Joghurt feierlich aufgegessen war, rief Ms MacDonald: »Du meine Güte, die Zeit!« Heutzutage staunte sie beständig über die Zeit – »Es kann noch nicht sechs sein!« oder »Acht Uhr? Es fühlt sich an wie zehn« und »Es ist doch nicht wirklich so spät, oder?« Reggie konnte sich vorstellen, dass sie sich, wenn die Geißelungen und die Bedrängnis begannen, verwundert an Reggie wenden und sagen würde: »Das ist nie und nimmer das Ende der Welt!«
Gab es eine Art Lotterie (Reggie stellte sich eine Tombola vor), aus der Gott Todesarten zog – »Herzinfarkt für ihn, Krebs für sie, mal sehen, ob wir diesen Monat schon einen schrecklichen Autounfall hatten.« Nicht, dass Reggie an Gott glaubte, aber manchmal war es interessant, ihn sich vorzustellen. Stand Gott eines Morgens aus dem Bett auf, zog die Vorhänge zurück (Reggies imaginärer Gott führte ein sehr häusliches Leben) und dachte: »Heute soll mal jemand in einem Hotelswimmingpool ertrinken. Das hatten wir schon länger nicht mehr.«
Die Kirche der Kommenden Entrückung war eine erfundene Religion, sie bestand aus einem Haufen Leute, die unglaubliche Dinge glaubten. Sie hatten nicht einmal ein Gebäude, sondern hielten ihre Gottesdienste rotierend in den Wohnzimmern ihrer Mitglieder ab. Reggie war nie bei einem dieser Gottesdienste dabei gewesen, aber sie glaubte, dass es ähnlich zuging wie bei ihren Abendessen, wo sie ernsthaft dispensionalistische und futuristische Ansichten debattierten, während eine Platte süßer, mit Feigenmarmelade gefüllter Brötchen herumgereicht wurden. Der einzige Unterschied wäre, dass Banjo nicht dabei war und angesichts der Brötchen sabberte und stöhnte. »Ich war nie mit eigenen Kindern gesegnet«, sagte Ms MacDonald einmal zu Reggie, »aber ich habe mein Hündchen. Und dich natürlich, Reggie«, fügte sie hinzu.
»Aber nicht mehr lang, Ms Mac«, sagte Reggie. Nein, natürlich nicht, sie sagte es nicht. Aber es stimmte.
Das Schreckliche war, dass Ms MacDonald das Familienähnlichste war, was Reggie hatte. Reggie Chase, Waise der Gemeinde, arme Jenny Wren, Little Reggie, das Wunderkind.
Reggie spülte das Geschirr und putzte die schlimmsten Ecken der Küche. Die Spüle war ekelerregend, verfaultes Essen im Abfluss, alte Teebeutel, ein schmutziger Lappen.
Niemand schien Ms MacDonald gesagt zu haben, dass Sauberkeit gleich nach Gottesfurcht kam. Reggie goss unverdünntes Bleichmittel in die Becher voller Teeflecken und ließ sie einweichen. Ms MacDonald hatte Becher mit Aufschriften wie »Alles dreht sich um Jesus« und »Gott beobachtet dich«, was Reggie für unwahrscheinlich hielt, man sollte annehmen, er hätte Besseres zu tun. Mum hatte einen Becher mit dem Hochzeitsbild von Charles und Diana, der länger gehalten hatte als die Ehe. Mum hatte Prinzessin Diana verehrt und oft ihr Ableben beklagt. »Einfach weg«, sagte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. »Einfach so. Der ganze Drill für nichts.« Diana-Verehrung war so etwas wie Mums Religion gewesen. Wenn Reggie für sich eine Religion wählen müsste, würde sie sich auch für Diana entscheiden, die wahre Diana – Artemis, bleiche Mondgöttin der Jagd und der Keuschheit. Eine weitere mächtige Jungfrau. Oder die helläugige Athene, weise und heroisch, eine kriegerische Jungfrau.
Man hätte meinen sollen, dass sich Ms MacDonald mit ihrem altphilologischen Hintergrund etwas aus einem interessanteren Pantheon ausgesucht hätte – Zeus, der Blitze schleuderte wie Speere, oder Phoebus Apollo, der seine feurigen Pferde über den Himmel jagte. Oder, angesichts ihres pilzartigen Tumors, Hygieia, Göttin der Gesundheit, und Asklepios, Gott der Heilkunst.
Reggie trennte den Abfall und warf ihn in die roten,
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