Lebenssonden: Roman (German Edition)
dienen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das ist doch ganz einfach. Die Ankunft einer Lebenssonde muss ein Freudentag im Kalender einer jeden Spezies sein. Da die Sonden immer nur dort anhalten, wo sie eine technologisch fortgeschrittene Zivilisation finden, wird es Aufzeichnungen von ihren Besuchen geben. Unter diesen Aufzeichnungen werden auch astronomische Sichtungen der Richtung sein, die sie auf dem Rückflug eingeschlagen haben. Sobald wir den Raumsektor betreten, wo die Sonden einmal operierten, sollten wir imstande sein, mit den Einheimischen Kontakt aufzunehmen und sie zu fragen, in welcher Richtung ihre Sonde seinerzeit die Rückreise angetreten hat.
Mit drei solcher Vektoren werden wir dann in der Lage sein, die Position der Schöpfer -Sonne hinreichend präzise mit einer Dreieckspeilung zu bestimmen.«
35
Colin Williams, Professor für Fortgeschrittene Außerirdische Studien an der Universität von Nordamerika, sah mit mäßigem Interesse die Lichter der Megalopolis Mexico City in sein Blickfeld wandern. Williams streckte sich, um den diffusen Schmerz zu lindern, der sich während des anderthalbstündigen Flugs von Greater New York von den Beinen angefangen im ganzen Unterkörper ausgebreitet hatte. Er hatte kaum eine etwas bequemere Position eingenommen, als das Flugauto bekannt gab, dass es von den transkontinentalen Hochbahnen in eine beschaulichere Umgebung wechselte.
Binnen Minuten hatte es auf Unterschallgeschwindigkeit verlangsamt und flog über die massive Barriere der Touristenhotels hinweg, die die östliche Küstenlinie des Golfs von Mexiko zwischen Tampico und Vera Cruz säumten. Williams sah die pseudoaztekischen Pyramiden von Mexopolis still unter sich vorbeigleiten, und Tausende erleuchteter Fenster tauchten die Landschaft in ein dunkles gelbes Licht. Nach wenigen Sekunden waren die künstlichen Berge verschwunden, und er war über einem Grüngürtel und schaute nach unten auf einen Park, der mit weichen glitzernden Pastelltönen durchsetzt war. Das Flugauto war inzwischen so niedrig, dass er Personen auszumachen vermochte, die auf den gepflasterten Wegen spazierten.
Wenig später ragte wieder eine beleuchtete Klippe vor ihm auf. Die Balken der digitalen Anzeigen des Autopiloten schossen in die Höhe, als die Motordrehzahl sich erhöhte. Er hatte die Hände locker auf der Steuerung liegen, als das Flugauto zur Landung in den Gleitflug überging und schließlich auf dem Dach-Parkplatz des Megagebäudes aufsetzte.
Zwei Minuten später stand Colin Williams in der Mitte des zwei Quadratkilometer großen Dachs. Der riesige Ameisenhaufen, der das Hauptquartier der westlichen Hemisphäre der Gemeinschaft der Nationen war, schien seine Ankunft überhaupt nicht registriert zu haben.
Ein flüchtiger Beobachter hätte auf der Erdkarte für das letzte Jahrzehnt des vierundzwanzigsten Jahrhunderts keine offensichtlichen Unterschiede zu den Karten festgestellt, die im Verlauf des letzten halben Jahrtausends angefertigt worden waren. Alle Landmassen hatten noch immer dieselben Konturen, keine neuen Bergketten hatten sich aufgefaltet, und die meisten großen Flüsse strömten nach wie vor ungehindert dem Meer entgegen. Menschliche Bestrebungen, die Topografie zu ändern, waren relativ unbeachtlich. Mutter Natur erhielt ihr starkes Monopol aufrecht, wenn es um echte Geografie ging.
Und was die andere Art betraf, studierten Schulkinder noch immer willkürlich in Kontrastfarben gefärbte Karten, die nichts mit Höhe, Klima oder heimischer Vegetation zu tun hatten. Im Großen und Ganzen verliefen die imaginären Grenzen auch weiterhin entlang den traditionellen Mustern. Mit dem Aufkommen der weltweiten Kommunikation in Echtzeit organisierten die Leute sich jedoch zunehmend auf der Grundlage gemeinsamer Interessen statt nach dem Kriterium physischer Nähe. Der schon seit über zweihundert Jahren anhaltende Aufstieg starker Bündnisse industrieller, öffentlicher und persönlicher Interessengruppen hatte die alten geografischen und politischen Strukturen geschwächt.
Ihren Platz hatte die Gemeinschaft der Nationen eingenommen – die Gemeinschaft , wie sie im Volksmund genannt wurde. Sie war ursprünglich eine Hilfs- Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit gewesen – eine von vielen, die nach dem Zusammenbruch der alten Vereinten Nationen entstanden waren. Es gab nur drei Ziele, die in der Großen Urkunde festgelegt waren: Kriege verhindern, ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Stabilität zu
Weitere Kostenlose Bücher