Lebenssonden: Roman (German Edition)
Brea getan, was in seinen bescheidenen Kräften stand, doch im Wesentlichen hatte sie sich selbst helfen müssen.
Es war in Cranstons Büro, wo sie Lisa Moore zum ersten Mal traf. Lisa war neun und erst kürzlich verwaist; ein ernstes kleines Mädchen, das niemals lächelte oder weinte. Brea verspürte wegen der Ähnlichkeit ihrer persönlichen Schicksale eine gewisse Nähe zu dem Kind und alsbald fungierte sie als Lisas inoffizielle Betreuerin. Es war eine Beziehung, aus der sie so viel Trost schöpfte, wie sie selbst spendete – ein Ersatz für das Kind, das sie und Greg allzu lange aufgeschoben hatten.
Viel später hatte der Anzughersteller ohne Mucken Schadenersatz geleistet, und Brea gelangte in den Besitz von mehr Geld, als sie je im Leben gesehen hatte. Sie hatte den Job am Observatorium gekündigt und mit einem Teil des Geldes einen Treuhandfonds für Lisas Ausbildung auf der Erde eingerichtet. Mit dem Rest hatte sie sich als gleichberechtigte Partnerin bei Bailey eingekauft. Und nun – nach kaum mehr als drei Jahren – stand die Partnerschaft am Rand des Bankrotts.
Brea zitterte bei der Intensität der alten Emotionen. Für gewöhnlich beruhigte ein Drink bei Zander die Nerven – wenn man die guten Zeiten Revue passieren ließ, verdrängte das die schlechten Erinnerungen. Aber nicht heute. Trotz aller Bemühungen vermochte sie ein schnell aufkeimendes Gefühl der Verärgerung nicht zu unterdrücken. Zum Teil war der Ärger nach innen gerichtet und sie ärgerte sich, weil sie sich nicht der Trübsal zu entziehen vermochte, die sie überkommen hatte.
Hauptsächlich ärgerte sie sich aber über Bailey.
Er verspätete sich wie gewöhnlich. Nicht dass Brea es ihm verübelt hätte, dass er die letzte Nacht an Land Ceres Town unsicher machte. Aber bei allen Teufeln der Hölle , es gab für alles eine Zeit, und nun hätte er sich eben dem Geschäft widmen sollen. Da die Hypothekenzahlung auf die Lügenbaron in weniger als sechs Wochen fällig war, wurde es Zeit für eine »Verzweiflungstat«.
Und eine Verzweiflungstat war es, was Bailey zur Rettung des Schiffs vorgeschlagen hatte. Vor drei Monaten – gleich, nachdem sie von der wilden Jagd nach ALF 37416 zurückgekehrt waren -, war Bailey mit ihr und Lisa zum Abendessen in die Bezirks-Cafeteria gegangen und hatte darauf gewartet, dass das Mädchen mit seinen Freundinnen abzwitscherte. Dann hatte er eine Flasche Wein bestellt, und sie hatten eine »Unterredung« gehabt. Sie bemerkte, wie er in einer der Gesprächspausen mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck an ihrer Schulter vorbeischaute.
»Was hast du, Stinky?«, hatte sie gefragt.
»Ich habe gerade festgestellt, wie groß Lisa im letzten Jahr geworden ist. Sie ist fast schon eine junge Frau. Wird es nicht Zeit, dass du sie zu einer Schulausbildung auf die Erde schickst?«
»Und woher soll ich deiner Ansicht nach das Geld dafür nehmen?«
»Wieso greifst du nicht auf das Treuhandvermögen zu, das du für sie angelegt hast?«
»Das wird die Ausbildungskosten kaum abdecken. Ich werde mir noch etwas einfallen lassen müssen.«
»Kein Problem. Ich schlage vor, dass wir die Lügenbaron zu einer Raumstation bringen und dort überholen lassen. Wenn ich mir vorstelle, was diese Halsabschneider hier verlangen, könnte man die Reise allein schon durch die Einsparungen finanzieren.«
»Eine Überholung? Bist du verrückt? Woher sollen wir denn das Geld dafür nehmen?«
» Nicht so laut! «
Sie quittierte seine dringliche Aufforderung mit einem verstohlenen Schulterblick. Dann drehte sie sich um, beugte sich vor und flüsterte: »Also, womit sollen wir das bezahlen? Wir können doch nicht mal die Hypothekenzahlung leisten, ganz zu schweigen von einer Überholung der Lügenbaron !«
»Ich habe ein Frachtgeschäft abgeschlossen.«
»Welche Fracht?«
»Eine Singularität. Wir werden eine zu den Lagrange - Kraftwerken transportieren, wo sie energetisiert werden soll.«
»Wann hast du das eingefädelt?«
»Gestern Abend.«
»Vergiss es, Stinky! Wie konntest du dich nur darauf einlassen, ein Juwel der Gesellschaft zu transportieren? Wieso verwenden sie nicht einen ihrer eigenen Schlepper für den Job?«
»Wir tun das nicht für die Gesellschaft.«
»Für wen dann? Die Vereinten Nationen sagen, dass die öffentlichen Versorgungsgesellschaften die Einzigen seien …« Brea schloss den Mund mit einem hörbaren Zähneklicken. Damals, in den zwanziger Jahren, hatten die Vereinten Nationen insgesamt sechs
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