Leberkäsweckle
von ihm, seit in Kindertagen sein Wellensittich tot auf dem Boden des Käfigs gelegen hatte. Das Trauma, eines Tages wieder einen toten Wellensittich oder eben einen toten Menschen im Käfig oder hier: in der Kirche, zu finden. Er konnte damit nicht umgehen. Beerdigungen gut und schön, die gab es, und die brachte er auch ohne viel Mühe hinter sich. Aber ein toter Mensch in seiner Kirchenbank, das war dann doch etwas anderes.
Das mit dem »Da Maria« war ein Fehlschlag gewesen. Der Kommissar hatte zwar dort zu Mittag gegessen, war aber, als Pfarrer Leonhard auftauchte, schon längst wieder gegangen. Was soll’s, dachte sich Pfarrer Leonhard und ließ sich das Mittagsmenü bringen. Ruhig bleiben, das war jetzt ganz wichtig. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren.
Das hätte auch Frau Rieler gerne getan. Stattdessen war sie deutlich auf hundertachtzig.
»Sie setzen eine Figur in unseren Tiefkühlraum und halten es nicht für notwendig, uns Bescheid zu sagen? Der Herr Schmid war einem Herzinfarkt nahe. Und mir wäre es genauso gegangen, wenn ich nicht von einer Mutter – Gott sei Dank vorher – erfahren hätte, dass es da so ein ›Projekt‹ gäbe!«
Ihr Gesprächspartner Herr Gernhardt wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Gut, sie hatten im Kunstunterricht diese Figur gemacht, und dann war einer von den Jungs auf die Idee gekommen, dass man die doch einfrieren könnte. So als Kunst halt. Also hatten sie die Pappmaschee-Figur, die wirklich ziemlich echt aussah, in den Tiefkühlraum gesetzt. Die Performance sollte dann sein, dass dieser künstliche Mensch auftaute. Das war nun durch. Natürlich hätte er Bescheid sagen sollen. Klar. Er wusste auch nicht, warum er das vergessen hatte. Vielleicht ließ sich mit ein paar Fläschchen Prosecco noch was kitten.
Aber Frau Rieler hatte schon aufgelegt und war auf dem Weg in die Küche.
»Herr Schmid, gut, dass ich Sie finde, das mit dem Toten hat sich erledigt!«, rief sie ihm von Weitem zu.
Die umstehenden Frauen kreischten auf: »Was für ein Toter?«
In dem Moment wurde Frau Rieler klar, dass eine gute Nachricht nur im entsprechenden Zusammenhang als gute Nachricht erkannt werden konnte.
»Es gibt keinen Toten«, rief sie laut. »Der angebliche Tote ist nur eine Figur, die eine Kunstklasse in den Tiefkühlraum gesetzt hat.«
»Ich hab aber schon die Beutlinger Polizei …«, stammelte Herr Schmid, dem jetzt wieder nicht so wohl war.
»Prost Mahlzeit«, entfuhr es Frau Rieler.
»Sie kommen!«, kam die Meldung von der Ausgabetheke.
Waren an normalen Tagen mit dieser Ankündigung nur die sich im Anmarsch befindlichen Schüler gemeint, bezog sich der Ausruf heute zudem auf die beiden uniformierten Polizisten, die die Mensa gerade betreten hatten. Sie hatten die Amoklauf-Montur angelegt: schusssichere Weste, Schutzhelm, Maschinenpistole. Das war Vorschrift bei solch einer Meldung aus einer Schule.
Die Schüler wichen beeindruckt zurück, und die Polizisten gingen schnurstracks auf den einzigen Mann in der Küche zu und fragten kurz und bündig: »Wo ist der Tote?«
Herr Schmid kam nun ein wenig ins Stammeln. Das hatte er sich so nicht vorgestellt. »Also, eigentlich, so richtig, gibt es anscheinend keinen Toten«, sagte er leise und hoffte, damit seiner Bürgerpflicht Genüge getan zu haben. Er schnitt weiter Gurken, das beruhigte.
»Wie, keinen Toten? Sie haben doch extra Ihren Hausmeister im Beutlinger Revier vorbeigeschickt. Der sprach von einem Toten im Kühlraum!«, sagte einer der Beamten.
»Schon«, antwortete Herr Schmid, »aber da wusste ich doch noch nicht, dass es sich gar nicht um einen Toten handelt.«
Die beiden Polizisten schauten sich zuerst erstaunt an, schüttelten dann die Köpfe und gingen einen Schritt zur Seite.
»Was machen wir?«, fragte der eine.
»Koi Ahnung. Abr nochgucka misset mer. Am beschta, du gosch voraus«, antwortete der andere.
»I?«, kam es zurück.
»Jo, du. Du bisch scho länger drbei.«
»Also guat, ’s wird schon nix sei«, machte sich der Kollege Mut und forderte Herrn Schmid auf, nun Gurken Gurken sein zu lassen und ihnen den Weg zu zeigen.
Einen Weg suchte auch Kommissar Knöpfle. Wo war denn noch mal dieses blöde Gütle von Frieder Kötzle? Er hatte den Georgenberg jetzt mit Blaulicht über allerlei verbotene Wege zweimal umrundet, aber die ihm kaum in Erinnerung gebliebene Einfahrt zum Gütle wohl verpasst. Das hatte so keinen Wert. Wohl oder übel musste er anhalten, nach seinem Handy greifen und
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