Leberkäsweckle
die Nummer zurückrufen, die ihm die Menschenknochen am Georgenberg gemeldet hatte.
»Ja, hallo, ich bin’s«, sagte Knöpfle. »Ja, auf dem Weg, aber wohin? – Nein, ich weiß es nicht mehr! – Herrgott, das ist dreißig Jahre her, Frieder, dass ich als kleiner Junge mit meinem Vater mal dort war! – Aha, nach dem Parkplatz, das dritte, zweimal links. Gut. Ich bin ganz in der Nähe, komme gleich!« Knöpfle fuhr los.
Das tat auch Willi Schirmer vor der Beutlinger Klinik. Sie hatten ihn verarztet, den Arm in eine Schlinge gelegt und Ruhe empfohlen. Die hatten eine Ahnung. Der erste Anruf, der ihn vor der Klinik erreichte, war von der Beutlinger Zentrale gekommen, die nachfragte, was denn eigentlich in Pfenningen los sei, da gäbe es einen Toten in der Mensa. Sie hätten auch noch was anderes zu tun, als sich um Pfenninger Fälle zu kümmern. Als Schirmer im Gegenzug von dem Toten in der Christuskirche erzählte, da flippte der Beutlinger Kollege völlig aus. Schirmer drückte ihn weg und schaute aus dem Busfenster. Er musste zur Kirche und die Sache klären. Und er musste Knöpfle anrufen, um ihre Aktionen zu koordinieren.
Vor einer Aktion standen auch die beiden Polizisten und Herr Schmid an der Tür des Tiefkühlraums in der Mensa.
»I mach jetzt auf«, sagte Herr Schmid drohend zu den beiden Polizeibeamten.
Er trat vor, legte den Hebel um und machte schnell wieder einen Schritt nach hinten. Der Polizeibeamte ging zögernd einen Schritt hinein in den Tiefkühlraum, knipste das Licht an, nahm eine Taschenlampe aus seiner Uniformjacke und leuchtete der Figur ins Gesicht. Er trat noch einigermaßen ruhig zurück, drehte sich dann zu seinem Kollegen um, wischte sich über die Stirn, die bei den herrschenden Temperaturen nun wirklich keinen Schweiß aufweisen konnte, und sagte: »Der isch dot! Aber scho emmer, des isch bloß Pappmachee.«
»Ich ruf an«, sagte der Kollege draußen. »Falscher Alarm, oder?« Der aus der Kälte kam, nickte nur und setzte sich auf Herrn Schmids Wagen. Die Erdbeermousse war noch nicht fest, dachte Herr Schmid noch. Als sie später in Schälchen als Erdbeerkompott mit Sahne serviert wurde, merkte das keiner. Dafür die ganze Aufregung, dachte dann Herr Schmid, wiederum später, als die Polizei den Tiefkühlraum wieder für die Benutzung freigegeben hatte. Das alles nur, weil er einen Toten gemeldet hatte.
Den Toten in seiner Kirche, den hatte Pfarrer Leonhard beim Genuss des köstlichen Essens glatt vergessen. Er kannte sonst keine Pizzeria im Umkreis, die neben italienischen Spezialitäten auch schwäbische Küche anbot. Der Gaisburger Marsch, hier in Pfenningen auch »Kartoffelschnitz ond Spatza« genannt, war ausgezeichnet gewesen. Das war das Verdienst der zweiten Köchin, wusste der Pfarrer, die hatte ein Händchen für die einheimischen Gerichte.
Er hatte also sein eigentliches Problem beim Genuss der würzigen Fleischbrühe, der festen Spätzle, der mitgekochten Kartoffelschnitze und des zarten Siedfleischs tatsächlich vergessen, jetzt aber war es ihm wieder bewusst. Er würde es zu lösen wissen. Ja, wenn man wollte, dann konnte man auch. Ein fester Glauben half halt auch in solchen Fällen.
So nebenbei hatte er sich für den Sonntag ein paar Notizen für seine Predigt gemacht. Dazu inspiriert hatte ihn das italienische Tagesgericht, das neben ihm mehrfach verzehrt worden war, die Calzone – die Calzone als Sinnbild des Glaubens. Man weiß nicht genau, was drin ist, aber man glaubt daran, und in vielen Fällen erfüllte sich der Glaube. So wie die Calzone ihre Wertigkeit dadurch erhält, wie überlegt ihre Zutaten beigemischt werden, so ist auch der Glaube nicht ein Einziges, sondern eine Vielfalt, die an ihren Zutaten wohl gemessen werden soll.
Als er seine Notizen noch einmal überflog, überlegte er, ob die Bestellung des zweiten Viertels Chianti unbedingt nötig gewesen war. Er bezahlte die Rechnung, steckte dann jedoch aus Versehen die Rechnung statt seines Zettels ein. Seine Predigtnotizen fanden sich wochsdrauf in einem Glasrahmen an der Wand wieder, mit dem Vermerk: »So toll kann eine Calzone sein, Pfarrer Leonhard.«
Pfarrer Leonhard meisterte den Weg hinaus, musste allerdings feststellen, dass Gott zwar eine feste Burg, aber noch lange kein Garant dafür war, immer auch einen sicheren Schritt zu haben. Als ihm die frische Luft im Freien entgegenschlug, wurde ihm ein wenig leichter ums Herz. Sein Schritt ward fester, na bitte, Gott.
Diese Menschen, vor
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