Leberkäsweckle
fertig, aus Kleinigkeiten Katastrophen zu machen. Der zog das Chaos förmlich an.
Aber er mochte ja die etwas lebhaften Menschen, die auch mal gegen den Strich dachten, die eigene Gedanken, Träume und Ideen hatten. Das brachte doch eigentlich die Welt nach vorne. Diejenigen, die nur dem Gegebenen glaubten, glauben wollten oder zu glauben vorgaben, die nannte er die Verwalter. Die brauchten sie da unten auch, weil nicht alle gleichzeitig nach vorne gehen und Neues denken konnten. Aber halt nicht zu viele, denn nur verwalten, das war zum einen recht langweilig, zum andern konnte sich die Menschheit das nicht leisten. Zu viele Probleme mussten in nächster Zeit wenn nicht gelöst, dann zumindest angegangen werden.
Mit diesen Gedanken schaute Gott hinunter auf die Erde und fixierte seinen Pfarrer Leonhard. Der steckte seinen Kopf gerade ins Wasserbecken für das Gießwasser. Na, hoffentlich half das auch was, dachte Gott.
Helfen würde das nicht viel, das war ihm bewusst, aber wenigstens war sein Kopf wieder klar, und vielleicht konnte er die Beerdigung doch noch durchführen. Pfarrer Leonhard ging zur Aussegnungshalle und hörte zu seiner Verwunderung die Klänge der kleinen Orgel. Die hatten ohne ihn angefangen. Das konnte doch nicht sein!
Es konnte. Als er die Tür öffnete, war der Gottesdienst in vollem Gange. Sein Blick wanderte über die Bankreihen hin zum Altar, wo eigentlich er stehen sollte. Stattdessen stand dort Ignaz in seinem Ersatztalar und stammelte so etwas wie eine Liturgie herunter.
»Wollet mer nun macha ein Gebet, das unsern Herrn gilt«, dann begann er mit dem Vaterunser.
Im Stillen betete Pfarrer Leonhard mit. Was sollte er jetzt tun? Er konnte ja schlecht nach vorne gehen und einfach so den Gottesdienst übernehmen. Allerdings war es unbedingt notwendig, jetzt einzuschreiten, bevor Ignaz die Predigt mit dem Nachruf begann. Er musste versuchen, über die Aussegnungshalle an Ignaz heranzukommen und ihn in die Sakristei zu lotsen, irgendwie. So könnte er die Situation vielleicht noch retten. Vielleicht.
Das wäre Hans Bremer zu wenig gewesen, ein Vielleicht. Er war ins Rathaus zurückgekehrt. Mit leerer Einkaufstasche, versteht sich. Vor lauter Gerede mit dem Großgärtner hatte er das Wichtigste vergessen: das Einkaufen. Da musste halt später dann der Supermarkt herhalten.
Als er sein Büro betrat, lag auf dem Tisch ein Urlaubsantrag von Frau Schickle. Eine ganz normale Sache, dachte Hans Bremer, als er das Blatt in die Hand nahm. Etwas ungewöhnlich fand er allerdings, dass ihn Frau Schickle für ganze zwei Monate allein lassen wollte. Sie nahm ihren Urlaub, gut. Sie machte Überstunden geltend, auch noch gut. Sie wollte eine vierwöchige Erholung beantragen. Erholung, von ihm aus, ja. Schließlich hatte die Frau ja einiges mitgemacht. Ob er dem Ganzen allerdings stattgeben würde, das würde er morgen entscheiden. Heute hatte er anderes zu tun.
Er wollte sich ganz auf sein Vorhaben konzentrieren. Einen Test wollte er machen. Einfach nur mal so kurz rein in den »Atlas-Grill« in seiner Verkleidung und sehen, wie er ankam. Natürlich durfte Luise davon nichts mitkriegen. Die Utensilien lagen alle in der Garage im Schrank. Wenn er heute Abend dann die Küche fertig gemacht hatte, dann konnte er loslegen. Der Kroaten-Paule, das klang ihm ein wenig zu sehr nach Unterwelt. Er hatte sich für den Litauer entschieden, das klang irgendwie netter. Den würde er suchen und vielleicht ansprechen. Was dann passierte, das hatte er sowieso nicht in der Hand.
Das sah, oder vielmehr erahnte Pfarrer Leonhard auch. In der Hand hatte er die Sache längst nicht mehr. Denn entgegen den auf der Tafel angegebenen Liedern stimmte Ignaz gerade mit lautem Tenor »Maria durch ein Dornwald ging, Kyrieeleison …« an. Pfarrer Leonhard sah in die erstaunten Gesichter der Gottesdienstbesucher, sah die Witwe weinen und den Bruder mit den Zähnen knirschen. Wenn er Pech hatte, dann würde sich Ignaz mit seinem Lieblingslied auch noch eine vom Bruder einfangen. Hier war pfarrliches Eingreifen gefragt!
Mittlerweile befand sich Pfarrer Leonhard in der Sakristei und öffnete nun langsam, ganz langsam die Tür zum Kirchenraum. Durch den Spalt sah er Ignaz, der soeben zu einem weiteren Lied anhob. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, das wusste Pfarrer Leonhard. Er versuchte daher alles, er pschte, er psste, er pfiff kurz, er stampfte mit dem Fuß auf, nichts. Ignaz war anscheinend in seinem Element und wollte die
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