lebt gefaehrlich
der meinen hiesigen Besuch veranlaßt hat.«
Boshaft lächelnd bemerkte Colin: »Er muß viel Humor haben, daß er ausgerechnet Sie geschickt hat. Hören Sie, die Glocke läutet bereits. Kommen Sie, wir sind gleich da.«
»Oh«, sagte Mrs. Pollifax, knipste die Taschenlampe aus und kroch wieder auf den Beifahrersitz.
Die Fähre manövrierte sich zur Anlegestelle, Ketten rasselten, Schranken öffneten sich und Motoren begannen zu laufen. Die Wagen vor ihnen setzten sich in Bewegung. Colin schloß mit seinem Wagen an. Langsam rollten sie von der Fähre in die Nacht. Keine Trillerpfeifen schrillten, niemand lief ihnen entgegen und forderte sie zum Anhalten auf. Sie hatten ohne Zwischenfall den Bosporus überquert und die Halbinsel, auf der Istanbul lag, verlassen.
»Wo sind wir jetzt eigentlich?« erkundigte sich Mrs. Pollifax und zog ihren Reiseführer hervor.
»Den brauchen wir nicht. Das ist Uskudar, das ehemalige Chrysopolis, hauptsächlich als Vorstadt Istanbuls und wegen ihres riesigen Buyuk Mazaristan oder Friedhofs bekannt.«
»Friedhof!« rief Mrs. Pollifax. Sie hatte einen Hintergedanken. »Wir müssen einen geeigneten Platz für Henry finden.«
Er stöhnte. »Und dabei sehen Sie wie der Inbegriff der Ehrbarkeit aus.«
»Ich bin eben anpassungsfähig. Das ist wohl ein Vorzug des Alters«, erklärte sie. »In der Jugend klebt man häufig viel zu sehr an Überlieferungen. Schließlich, was ist gegen einen Friedhof einzuwenden?«
»Ganz unlogisch ist es natürlich nicht«, meinte Colin. »Aber Sie denken doch hoffentlich nicht daran, Henry auch gleich zu begraben?«
»Das wäre gesetzwidrig«, sagte sie tadelnd. »Und Henry gegenüber äußerst lieblos.«
»Verzeihung«, sagte er. Angestrengt versuchte er ein Straßenschild zu lesen. Dann sagte er: »Die Straße stimmt. Ich glaube, wir fahren jetzt am Friedhof entlang. Passen Sie auf, ob Sie irgendwo ein Tor sehen.«
Kurz darauf verließen sie die Welt der Straßenbahnen, Lichter und Autos und fuhren in eine unterirdische Schattenwelt ein, in der geisterha fte Stille herrschte.
»Ist das der Friedhof?« fragte Mrs. Pollifax beklommen.
»Es ist ein sehr weitläufiger Zypressenhain. Irgendwo im alten Teil liegt ein Sultan begraben. Ich finde allerdings auch den modernen Teil noch unheimlich genug.«
»Was für merkwürdige Grabsteine!«
»Moslemitische natürlich. Die Grabsäulen mit dem Buckel an der Spitze sind für die Frauen, die mit einem Turban für die Männer. Dann gibt es noch andere für Priester und Mekkapilger, aber wie die aussehen, habe ich vergessen.«
Holpernd blieb der Wagen stehen, und Colin stellte den Motor ab. In der einsetzenden Stille hörte man die Heuschrecken und Zikaden zirpen. Das Geräusch war unwahrscheinlich laut, fast wie im Urwald.
Die Scheinwerfer des Wagens strahlten die dunklen Büsche und die windschiefen Grabsteine an. Der Mond war jetzt verhangen und zog einen Schweif Wolken hinter sich her. Sein Schein ließ die Gräber geisterhaft bleich aufleuchten. Beim klagenden Schrei einer Eule zuckte Mrs. Pollifax heftig zusammen.
Colin schaltete die Sche inwerfer ab. Die Dunkelheit und das Zirpen der Insekten umfingen sie.
»Genaugenommen, dürften wir ja gar nicht hier sein«, sagte Colin.
»Ich wüßte nicht, warum«, antwortete Mrs. Pollifax tapfer und kletterte von ihrem Sitz.
Sie holten Henry aus seinem Versteck und legten ihn ins feuchte Gras.
»Wo möchten Sie ihn denn haben?« fragte Colin.
Sie überhörte seinen spöttischen Ton. »Dort drüben bei dem großen Stein, glaube ich. Er soll bald, aber nicht sofort gefunden werden. Glauben Sie, daß diese schrecklichen Kerle ihm seine Ausweispapiere abgenommen haben?«
»Anzunehmen«, sagte Colin. Sie trugen Henry über einen Weg, der so steinig war wie ein Bachbett. Dann kamen sie zu einer kleinen Anhöhe und standen vor dem großen, hellen Grabstein, der Mrs. Pollifax ins Auge gestochen hatte. »Kein Licht machen!« warnte Colin scharf.
»Ich schreibe seinen Namen und den des Hotels auf einen Zettel«, erklärte sie. »So - Henry Miles, per Adresse Hotel Itep.« Sie bückte sich und schob den Zettel in die Tasche seines dunklen Rocks.
»Vielleicht erweist mir einmal jemand den gleichen Liebesdienst«, sagte sie fest. Einen Augenblick betrachtete sie die Umrisse der knorrigen Baumstämme, der Büsche und der Schatten, die der Mond warf. »Er war ein sehr netter Mann«, sagte sie schließlich. »Und jetzt gehen wir.«
»Was tun Sie denn hier? Einen Betrunkenen bestehlen?« ließ
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