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lebt gefaehrlich

lebt gefaehrlich

Titel: lebt gefaehrlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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sich eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit vernehmen.
Mrs. Pollifax drehte sich um. Ein Schatten löste sich aus der Finsternis eines Grabsteins. Ein riesiger Mann stand auf, räkelte sich, gähnte und schlenderte gleichmütig auf sie zu. Im trüben Licht sah er aus, als sei er zwei Meter lang. Aber die Schatten täuschten. Als Colin die Taschenlampe anknipste, schrumpfte der Mann auf zwar beachtliche, aber immerhin normale Ausmaße zusammen. Er war dunkelhäutig, hatte schmutziges, strähniges Haar und Bartstoppeln.
Er trug schmierige Matrosenhosen, einen Rock, der vor langer Zeit wohl einmal weiß gewesen war, und einen abgerissenen Rollkragenpullover.
Seine Füße steckten in alten Schuhen mit Kreppsohlen. Aus beiden Schuhen schauten die Zehen heraus.
»Verdammt, wer sind Sie, und was tun Sie hinter dem Grabstein?« fragte Colin tapfer.
»Schlafen«, antwortete der Mann. »Bis Sie mich aufgeweckt haben.« Er stemmte die Hände in die Hüften und begutachtete Mrs. Pollifax interessiert. Sein Blick glitt anerkennend über ihren Blumenhut und verweilte auf ihrem Gesicht. Belustigt nahm er ihr marineblaues Kostüm, die weiße Bluse und die Schuhe zur Kenntnis.
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt habe ich alles gesehen!« Er hockte sich auf den Boden und sah sich Henry an.
»Der ist tot. Haben Sie ihn erschossen?«
»Nein. Ein anderer hat es getan«, erklärte Colin zornig.
»Wir wußten nicht, was wir sonst mit ihm tun sollten«, sagte Mrs. Pollifax. »Und da wir zufällig hier vorbeifuhren... Aber warum sind Sie denn hier?« fragte sie streng.
»Das ist meine Angelegenheit.« Der Mann stand auf und sah die beiden an. »Zwei Touristen laden einen Mann mit einer Schußwunde in der Brust ab!« Wieder schüttelte er den Kopf. »Ob sich die Polizei dafür interessieren würde?«
Mrs. Pollifax erstarrte. »Unsinn. Sie sehen mir gar nicht so aus, als ob Sie sich in die Nähe der Polizei wagen dürften.«
Er brach in ein Gelächter aus, das Tote erwecken konnte. »Sind Sie aber mißtrauisch! Na schön - ich schlafe eben auf dem Friedhof. Ich habe eben kein Geld. Dafür haben Sie eine Leiche. Damit sind wir quitt. Außerdem haben Sie einen Wagen, mit dem Sie von hier wegfahren können. Auch ich muß weg von hier. Ich dachte an einen Handel.« Seine Stimme umschmeichelte das letzte Wort. »Wie wär's? Ich fahre mit, wenn mir Ihre Richtung paßt.«
»Wohin wollen Sie denn?« fragte Colin vorsichtig.
»Wohin fahren Sie?« entgegnete der Mann listig.
Mrs. Pollifax gestand sich, daß sie das selbst nicht genau wußte. »In welche Richtung fahren wir denn?« erkundigte sie sich bei Colin.
»Nach Ankara.«
»Ausgezeichnet!« sagte ihr neuer Gefährte und strahlte sie an.
»Dort habe ich 'nen Freund, der mir Geld schuldet.«
»Haben Sie einen Paß?«
»Sozusagen.«
»Wie heißen Sie?«
»Sandor genügt. Einfach Sandor.«
»Grieche?«
»Sozusagen.«
»Matrose?«
Der Mann machte sich sichtlich lustig über sie. »Sozusagen.«
»Können Sie autofahren?« fragte Mrs. Pollifax.
»Kann ich.«
Mrs. Pollifax tauschte einen Blick mit Colin. »Eine verdächtige Verbindung«, bemerkte Colin.
»Die reinste Erpressung«, sagte Mrs. Pollifax vergnügt.
»Aber auf Gegenseitigkeit«, hob Colin grinsend hervor. »Na schön, Sandor, wir nehmen Sie mit.«
»Aber unter einer Bedingung.«
Abwehrend fragte Mrs. Pollifax: »Und zwar?«
»Lassen Sie sich nichts Dummes einfallen. Und keine Unterbrechungen während der Fahrt. Ich wünsche kein Empfangskomitee in Ankara.«
Mrs. Pollifax lächelte. »Oh, das - hm - entspricht unseren eigenen Wünschen recht gut«, sagte sie leutselig. »Kennen Sie einen Weg nach Ankara, bei dem man - hm - Empfangskomitees vermeidet?«
»Ich kenne die Stadt wie meine Hosentasche.«
Auf dem Rückweg zum Wagen flüsterte Colin Mrs. Pollifax zu: »Es ist Ihnen doch klar, daß die Polizei hinter ihm her ist?«
»Dann befindet er sich in guter Gesellschaft«, meinte sie versöhnlich. »Was für ein Verbrechen trauen Sie ihm denn zu?«
»Längs der Küste wird sehr viel geschmuggelt. Wenn er Matrose ist, schmuggelt er bestimmt. Opium vermutlich.«
»Opium«, wiederholte Mrs. Pollifax und lächelte verklärt. »Dann gehören wir also jetzt zur Unterwelt! Was für Überraschungen das Leben doch manchmal bietet!«
Während der Fahrt aßen sie die Weintrauben, mit denen Sandor sich für seine Nacht auf dem Friedhof versorgt hatte. Nach dem ersten Schreck über die Entdeckung, daß sie bereits einen Fahrgast im Wagen hatten - »ist sie

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