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Lebt wohl, Genossen!

Lebt wohl, Genossen!

Titel: Lebt wohl, Genossen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: György Dalos
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verbotenen Früchte ähnelte einem Akt der geistigen Selbstbefreiung. Wie dies im Einzelnen aussah, zeigt Karen Schachnasarows berühmter Spielfilm «Gorod Sero», in dem die «Rehabilitierung» des Rock ‘n’ Roll in einer sowjetischen Kleinstadt in Anwesenheit der grimmigen Funktionäre gezeigt wird. Offensichtlich wollte die Führungsspitze durch die Erweiterung der Informationsfreiheit und der Meinungsvielfalt den Druck auf die konservative Apparateelite erhöhen, um weitere Veränderungen zu erzielen.
    Vor allem Wochenschriften wie das Nachrichtenmagazin
Ogonjok, Moskowskije Nowosti
und
Literaturnaja Gaseta
waren wie in der Vergangenheit die Sprachrohre für direkte politische Kritik. Neben den sensationsorientierten und wohldosierten «Enthüllungen» entwickelte sich ein neuer journalistischer Stil, der deutlich von der offiziellen Sprachregelung abwich. Neu waren auch die unzensierten Leserbriefe, in denen konträre Meinungen artikuliert wurden. Dieser entstehende Pluralismus stärkte zunächst die neostalinistisch-konservativen und nationalistischen Stimmen, unter anderem in den Zeitungen
Sowjetskaja Rossija
und
Nasch Sowremennik.
Jenseits der bereits existierenden Presselandschaft erschienen noch primitiv gedruckte, an den Samisdat, die Untergrundliteratur, erinnernde Journale, um die sich die oppositionellen liberalen Gruppen («njeformalni») sammelten. Dazu gehörte die demokratische Bewegung um die Zeitschrift
Glasnost
mit ihrem 1987eingesetzten Chefredakteur Sergej Grigorjanz, aber auch die offen antisemitischen Flugblätter der «Patriotischen Vereinigung Erinnerung» (Pamjatj).
D IE A UFERSTEHUNG DER N ATIONALISMEN
    In einem Vielvölkerstaat wie der Sowjetunion schlugen sich sämtliche politischen und sozialen Konflikte auch im nationalen Bereich nieder, und schnell konnten unüberlegte Beschlüsse an der Machtspitze das Gegenteil des erhofften Effekts bewirken. So war es auch mit der Entscheidung des Politbüros der KPdSU vom Dezember 1986, den kasachischen Parteichef Dinmuhammed Kunajew wegen Korruption abzulösen. Unabhängig davon, ob und inwieweit die Anklage zutraf, hätte normalerweise nach diesem verknöcherten Apparatschik mit fast 50 Jahren KP-Mitgliedschaft kein Hahn gekräht. Da aber zu seinem Nachfolger der Russe Georgij Kolbin erkoren wurde, rebellierten gegen diesen noch am selben Tag in der Hauptstadt Alma-Ata Tausende von Studenten und Arbeitern, unter ihnen viele Parteimitglieder. Sie zogen auf den damals noch nach Breschnew benannten Hauptplatz und skandierten Losungen wie: «Jeder Nation den eigenen Führer!» Die Kollision zwischen Demonstranten und Ordnungskräften forderte einen Toten und 1500 Verletzte, und etwa ebenso viele Demonstranten wurden verhaftet. Der Protest erhielt den Namen «Scholtoksan» (kasachisch für Dezember) und wird heute als Gründungsakt der kasachischen Unabhängigkeitsbewegung gefeiert. Mit dieser Wirkung hatte man in Moskau am wenigsten gerechnet.
    Noch absurder musste dem Politbüro der zweite, noch dramatischere nationale Eklat vorkommen, obwohl dieser nicht einmal direkt gegen die russische Zentrale gerichtet war. Vielmehr wollten die in den Konflikt um die armenische Enklave Berg-Karabach verwickelten Republiken Armenien und Aserbaidschan Moskau als Vermittler gewinnen. Die armenische Mehrheit in der Region, circa 150.000 Einwohner, wollte sich von der Republik Aserbaidschan ablösen und strebte eine Verbindung mit Armenien an. Eine entsprechende Eingabe wurde nach Moskau geschickt und alarmierte die Kremlführung. Am Tag darauf demonstrierte man in der armenischen Hauptstadt Eriwan für dasselbe Ziel – in Gorbatschows Namen und unter seinem Porträt.
    Der Parteichef lud daraufhin zwei Vertreter der armenischen Intelligenz in den Kreml ein, die Lyrikerin Silva Kaputikjan und den Publizisten Sori Balajan. Er setzte seinen ganzen persönlichen Charme ein, um die Armenier von ihrer Idee abzubringen, denn in der Änderung der innersowjetischen Grenzen witterte er zu Recht einen gefährlichen Präzedenzfall. Die Spannungen zwischen den beiden kaukasischen Sowjetrepubliken waren bereits am Siedepunkt. «Jetzt ist es das Wichtigste, den Brand zu löschen!», appellierte Gorbatschow an die beiden Armenier, ließ aber offen, womit denn gelöscht werden sollte. So antwortete die Lyrikerin: «Gebt uns Wasser! Gebt wenigstens ein Versprechen, irgendwelche Hoffnung.» Gorbatschow versprach daraufhin 400 Millionen Rubel Fördergelder für die Enklave,

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