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Lebt wohl, Genossen!

Lebt wohl, Genossen!

Titel: Lebt wohl, Genossen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: György Dalos
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Treffen» «modoprivato». So entwickelten der Funktionär Stanislaw Ciosek und der Bischof Alojzy Orszulik die Formel, dass bei den anstehenden Wahlen die Kommunisten und ihre treuen Koalitionspartner 60 Prozent der Mandate erhalten sollten und die Parteilosen – also praktisch die Kandidaten der Opposition – 40 Prozent. «Und, was Wunder», erzählt Rakowski, «die Opposition akzeptierte diesen Vorschlag. 40 Prozent! Von einem solch hohen Anteil hatten die Vertreter der als Bürgerkomitee bezeichneten Regierungsgegner nie geträumt. Ein Teil der Genossen, darunter auch ich, hielt eine solche Verteilung der Parlamentssitze für allzu großzügig.» Nach einer Weile wurden die Anteile auf 65 Prozent beziehungsweise 35 Prozent korrigiert. Auf der Basis dieser Prozentzahlen entstand das sogenannte Vertragsparlament.
    Am 5. Mai 1989 stand dem Abkommen nichts mehr im Wege. Man feierte, und das zu Recht, das Ergebnis als Erfolg und war stolz darauf, von Pole zu Pole miteinander geredet zu haben. Im Sommer 1989 eroberte die Solidarność bei den von keinem Vertrag eingeschränkten Senatswahlen 99 von 100 Plätzen. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei diesem ersten halbwegs demokratischen Kräftemessen nur bei 62 Prozent, was von einer unveränderten Skepsis der Bürger gegenüber der Willensbildung via Stimmzettel zeugte. Zwei Jahre später, bei den ersten völlig freien Sejm-Wahlen, für die bereits mehr als 30 Parteien kandidierten, sank die Beteiligung auf 43 Prozent.
    Mit oder ohne hohe Wahlbeteiligung bedeutete der erste Urnengang auf jeden Fall eine katastrophale Niederlage für die kommunistische Partei.Trotz ausgehandelter Vorrangplätze musste die PVAP nicht nur den Triumphzug ihrer Gegner in den Senat erdulden. Besonders unangenehm traf sie die Tatsache, dass von den 35 Direktmandaten ihrer sogenannten «Landesliste», die gewöhnlich den Spitzenapparatschiks vorbehalten war und die sie aus Versehen nicht im Vertrag beansprucht hatte, nur fünf Kandidaten genügend Stimmen erhielten. So schafften es hohe Repräsentanten der Partei und des Staates wie Kiszczak, Ciosek und Rakowski, Initiatoren und Akteure des Runden Tisches, im ersten Wahlgang nicht, in den Sejm zu kommen. Um ihnen weitere Demütigungen zu ersparen, veränderte man vor dem zweiten Urnengang mithilfe der Opposition sogar die Wahlordnung.
    Die ersten beunruhigenden Meldungen, so lesen wir in Rakowskis Memoiren, trafen aus den polnischen Auslandsvertretungen ein. Hier war der Nachteil der Machthaber besonders auffällig, denn das Personal der Botschaften und anderer Einrichtungen war mehrheitlich aus Genossen zusammengesetzt: «Spätabends konnten wir im Wahlstab die Niederlage kommen sehen. Am nächsten Morgen stand sie fest. Alle unsere Senatskandidaten waren abgewählt worden. Mittags berief Jaruzelski eine erweiterte Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees ein. Nach außen zeigte sich der General beherrscht, doch ich kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, dass die äußerliche Fassung bittere und pessimistische Gedanken verbarg.» Kiszczak bezeichnete die Senatswahlen als «unsere hundertprozentige Niederlage». Das Politbüromitglied Władysław Baka, selbst aktiver Teilnehmer der Verhandlungen am Runden Tisch, sagte, die Wahlergebnisse hätten jegliche Befürchtung noch übertroffen. «Das Volk wollte uns einfach nicht mehr! Und damit hatte es recht.»
    Ohne Zweifel bestand nun die Gefahr, dass die siegestrunkene Menge, die auf den Straßen der Großstädte das «Ende der Kommune» bejubelte, das Wahlergebnis als Korrektur des «Vertragsparlaments» ansehen und in diesem Sinne Druck auf die Opposition ausüben würde. Die Verhandlungen waren von Streiks und Demonstrationen begleitet gewesen, bei denen sich die soziale Frustration häufig in antikommunistischen und antisowjetischen Parolen artikuliert hatte, was wiederum bei den Funktionären Urängste auslöste.
    Die politische Lösung kam schließlich von der Führung der Opposition, die gleich nach der Bekanntgabe ihres Sieges eine Delegation zu General Kiszczak sandte. Mazowiecki, Geremek und Bischof Orszulik teiltenim Namen von Lech Wałęsa mit, dass sie nicht an eine Machtübernahme dächten und nicht einmal eine Regierungsbeteiligung im Sinn hätten. Um die Vertragslösung noch einmal plausibel zu machen, ergriff Adam Michnik das Wort in seiner
Gazeta Wyborcza
(Wahlzeitung), die von der Solidarność im Vorfeld der Wahl gegründet worden war. Hier erschien am

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