Lebt wohl, Genossen!
geplante Reise in den Iran vor und wollte sein Land in der Gewissheit verlassen, bei der Rückkehr die gewohnte Ruhe und Ordnung vorzufinden. Deshalb führte er in den Nachmittagsstunden eine Telefonkonferenz mit den Kreisführern der KP durch, insbesondere mit denen der «Frontstadt» Temesvar.
CEAUŞESCU Ich mache allen Ernstes darauf aufmerksam, dass in Temesvar noch nicht Ordnung gemacht worden ist, weil einige unzulässige Fehler (…) gemacht wurden. In erster Linie deshalb, weil die Einheiten, die dazu bestimmt worden waren, bestimmte Maßnahmen anzuwenden, unbewaffnet ausgerückt und also auch nicht in der Lage gewesen sind zu handeln. (…) Jetzt habe ich alle Kommandeure nach Temesvar geschickt, und sie sind dort. (…) Sie haben auch scharfe Munition bekommen. Es herrscht Ausnahmezustand! Ich habe Schießbefehl erteilt; es wird vorgewarnt, und wenn man sich nicht unterwirft, wird geschossen. (…) Ist alles richtig verstanden worden? Ich frage auch Temesvar, der Erste Sekretär soll antworten. Genosse Coman (Staatssicherheit), sind die Offiziere dort?
BALAN (Sekretär des Kreiskomitees Temesvar) Wir sind hier mit dem Genossen Coman. Es sind Maßnahmen für die Ausführung Ihres Befehls ergriffen worden. Die Offiziere sind nicht hier, sie sind bei der Miliz.
CEAUŞESCU Warum sind sie nicht in den Saal gekommen? Übermittelt meinen Befehl. Sie müssen wie in einer Kampfsituation vorgehen! Ruft die an und erteilt ihnen den Befehl. Dann verbindet mich mit ihnen, damit ich mit ihnen spreche.
COMAN Ich melde Ihnen, Genosse Nicolae Ceauşescu, dass die Spitze von drei Kolonnen in Temesvar eindringt. Sie werden ins Zentrum befohlen; ich habe den Befehl erteilt zu feuern.
CEAUŞESCU (…) Die Generäle, die ich aus Bukarest geschickt habe, wo sind sie?
COMAN Ich habe angeordnet, dass sie zu den Kolonnen gehen. Wir organisieren alles so, wie Sie das befohlen haben.
CEAUŞESCU Handelt in meinem Namen und berichtet alle 15 Minuten. (…) Verstanden?
COMAN Ich melde: Habe verstanden.
CEAUŞESCU Haben die anderen Kreise verstanden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen? Gibt es noch Unklarheiten? Nein.
D IE S CHLACHT VON T EMESVAR
Am Montag, dem 18. Dezember verabschiedete er sich am Flughafen Otopeni von seiner Frau Elena und dem Politbüromitglied Manescu, denen er die Geschäfte in der Zeit seiner Abwesenheit übergeben hatte. Anderthalb Stunden später landete er in der iranischen Hauptstadt, wo ein dichtes protokollarisches Programm auf ihn wartete. Unter anderem sollte er die Autofabrik Iran-Khodro besuchen, weshalb zur rumänischen Delegation Vertreter der Erdölbranche gehörten. In Teheran sprach Ceauşescu mit Rafsandschani und wohnte in dem ehemaligen Sommerpalais seines früheren Freundes, des inzwischen gestürzten und aus dem Land geflüchteten Schahs Reza Pahlewi. Von dort aus, unter Ausschluss der Botschaft seines Landes, führte er Telefongespräche mit seiner Frau über die Lage zu Hause. Viel Tröstliches erfuhr er nicht, und vor allem hatte er den Eindruck, dass seine Instruktionen nicht hundertprozentig befolgt wurden.
Dabei sparten die Militärs, die am Sonntag darauf Temesvar überrannten, keineswegs mit scharfer Munition. An diesem Tag gab es infolge des Terrors 58 Tote und 92 Verletzte. An der Operation beteiligten sich vier verschiedene bewaffnete Kräfte: die Miliz, die Armee, die Antiterrorgruppe und die Staatssicherheit. Vielleicht war die schlechte Koordination oder gar Rivalität zwischen den einzelnen Machtorganen mit schuld daran, dass das Blutvergießen nicht einmal sein militärisches Ziel erreichen konnte. Und trotz der mehr als 800 Verhaftungen gelang es nicht, der Bevölkerung Angst einzujagen. Am Montag und Dienstag demonstrierten noch mehr Leute auf dem Hauptplatz. Weder der Einsatz neuer Militäreinheiten noch Versuche, der Lage durch prompte Verbesserung der Lebensmittelversorgung Herr zu werden, führten zu den erwarteten Resultaten. Die Menschen forderten nun die Herausgabe ihrer toten Familienangehörigen, die inzwischen heimlich in Kühlwagen des Fleischkombinats COMTIM in das Bukarester Krematorium eingeliefert worden waren.
Vor allem klappte es mit der Isolierung der Stadt nicht. Obwohl die Temesvarer nicht nach draußen telefonieren konnten, wurden sie aus dem Ausland erreicht. So gelang es zum Beispiel dem in Berlin lebenden Autor William Totok, Telefongespräche mit Temesvar zu führen. Noch wichtiger war die Rolle des jugoslawischen Konsuls Mirko
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