Lee, Julianne
feilgeboten wurden. Er trat ein, um dem Besitzer ein paar Fragen zu stellen. Dieser stand an einem Pult und trug Zahlen in ein Kontobuch ein. Da ihm bewusst war, wo er sich befand und keine Ahnung von der politischen Einstellung des Mannes hatte, ahmte Ciaran einen Lowlandakzent nach, als er ihn ansprach. »Wisst Ihr zufällig, wo sich die Hadleys jetzt aufhalten? Sie haben hier ganz in der Nähe gewohnt.«
Der korpulente, bärtige Lowlander ließ den Blick über Ciarans Kilt gleiten, straffte sich dann, hob das Kinn und musterte ihn so verächtlich, als sei Ciaran ein Dienstbote, der sich erdreistet hatte, unaufgefordert das Wort an seinen Herrn zu richten. Endlich
brummte er: »Ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnten.« Dass er es nicht verraten würde, selbst wenn er es wüsste, brauchte er gar nicht erst laut zu sagen.
Ciaran starrte ihn an. Der Hass, den der Mann ausstrahlte schürte seine eigene Wut. So war es ihm in Edinburgh häufig ergangen; die Bewohner dieser Stadt kamen ihm eher wie Engländer als wie Schotten vor. Heute jedoch hatte er keine Geduld mit ihnen. Er sah dem Kaufmann unverwandt in die Augen, in denen nackter Abscheu zu lesen war. Keiner sprach ein Wort. Am liebsten hätte Ciaran Brigid gezückt und dem Kerl Manieren beigebracht, doch er beherrschte sich. Er durfte kein Aufsehen erregen.
Endlich sah der Kaufmann zur Seite und wandte sich ab, um ein paar Säcke Mehl zu begutachten. Er tat so, als sei Ciaran gar nicht mehr da.
»Vielen Dank für Eure Hilfe.« Ciaran trat ins Freie und atmete ein paar Mal tief durch, ehe er zum Hogshead Inn zurückkehrte. Sinann flatterte hinter ihm her.
»Sie wird schon einen Weg finden, dir mitzuteilen, wo sie ist, mein Freund. Wenn sie kann.«
Ciaran blickte zu ihr auf, sagte aber nichts, weil er nicht sicher war, ob er wirklich wollte, dass Leah so ein Risiko einging. Im Hogshead Inn ging er in seine Kammer, warf sich auf das Bett und überließ sich seinen quälenden Sorgen.
Einige Tage später erhielt er eine Einladung zu einem Ball im Palast. Da der Prinz die Anwesenheit aller Lairds wünschte, musste er wohl oder übel hingehen, obgleich er wenig Lust dazu verspürte. Leah würde selbstverständlich nicht dort sein - nicht als Tochter eines Dragonercaptains aber ihm kam der Gedanke, dass ihr dieser Ball wesentlich mehr Freude machen würde als ihm. Er wäre nur zu gerne zusammen mit ihr hingegangen, und er musste lächeln, als er daran dachte, welchen Aufruhr ihre Anwesenheit ausgelöst hätte.
Zwar hatte er sich für diesen Anlass einen neuen Kilt nebst Mantel anfertigen lassen, hegte aber wenig Hoffnung, mit den kostbaren Kleidern der wohlhabenderen und mächtigeren Lairds mithalten zu können. »Ich habe hier nichts verloren«, flüsterte er Si-
nann zu, als er durch das hohe, von Säulen gesäumte Eingangstor
des Palastes trat.
»Natürlich hast du das, mein Freund.« Sie klang aufgeregt, obwohl sie jederzeit in den Palast eindringen und den Prinzen bespitzeln konnte, wenn ihr der Sinn danach stand. Ciaran vermutete, dass sie das auch oft genug getan hatte. Sie war wohl mehr seinetwegen aufgeregt, was ihm ein amüsiertes Lächeln entlockte. Sie fuhr fort: »Du bist der Führer deines Clans und somit allen anderen hier ebenbürtig.« »Och«, war alles, was Ciaran dazu einfiel. Im Palast fiel es ihm schwer, Männer wiederzuerkennen, die er während des Marsches täglich gesehen hatte. Die schlichte Wollkleidung war Seide und Brokat gewichen, offenes, zerzaustes Haar ordentlich geflochtenen Zöpfen oder kunstvollen gepuderten Perücken, und einige Highlander hatten sogar ihren Kilt durch enge Hosen ersetzt. Sein Blick fiel auf den Laird der MacDonells, der wie ein Sassunach aufgeputzt war. Beinahe hätte er verächtlich geschnaubt; er konnte sich gerade noch rechtzeitig beherrschen. Sinann sprach aus, was er dachte. »Diese wetterwendischen MacDonells, wissen nicht, auf welcher Seite sie stehen.«
Ciaran zuckte die Schultern, als er auf die große Halle zuging. »Nein, Fee, eigentlich stehen wir jetzt alle auf derselben Seite. Wir müssen unsere Zwistigkeiten begraben und gegen unseren gemeinsamen Feind kämpfen.«
Sie seufzte nur, dann sagte sie: »Aye, dann kannst du, wenn die Engländer aus unserem Land verjagt sind, ja damit fortfahren, den MacDonells klar zu machen, dass zwischen unserem und ihrem Vieh ein großer Unterschied besteht.« Ciaran grinste. »Aye, das habe ich auch vor.« Er setzte seinen Weg durch die Säle und Gänge
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