Lee, Julianne
die Antwort auf einen Versuch der Jakobiten war, den Soldaten des Königs den Nachschub abzuschneiden. Leah wusste nicht mehr, woran sie zweifeln sollte und woran nicht. Entgegen Marthas Behauptung waren die Franzosen nicht gelandet, und nun hieß es, dass mit ihnen auch nicht mehr zu rechnen sei. Das vermochte sie genauso wenig zu glauben wie die Geschichte des Jungen auf der Straße, der gesagt hatte, die Dragoner seien vom Schlachtfeld geflüchtet. Niemals würde ihr Vater sich wie ein Feigling verhalten. Sie zuckte zusammen, denn die Kanonen dröhnten erneut.
Als Edwin an diesem Abend nach Hause kam, wartete er, bis das Essen aufgetragen worden war, ehe er verkündete, dass sie das Haus verschließen und Edinburgh verlassen würden.
Martha, die ihr Fleisch gerade in säuberliche kleine Stücke schnitt, hielt inne und sah ihren Mann ungläubig an. »Was sagst du da?«
»Übermorgen brechen wir nach Nairn auf.« Sein Ton besagte deutlich, dass sein Entschluss feststand und jeglicher Widerspruch sinnlos war. Er schob ein großes Stück Fleisch in den Mund und säbelte dann die Knorpel von dem Rest auf seinem Teller ab.
Leah stieg das Blut in die Wangen, doch sie sagte nichts, sondern starrte nur stumm auf ihren eigenen Teller. Dann sah sie zum Fenster hinüber. Vielleicht entdeckte sie ja Ciaran unten auf der Straße. Martha fand endlich die Sprache wieder. »Und was erwartet uns in Nairn?«, zischte sie.
»Ruhe und Frieden. Und keine Jakobiten, die in karierten Röcken und mit nackten Knien herumlaufen, hoffe ich.«
Und keine britische Armee, die uns mit Kanonen unter Beschuss nimmt, dachte Leah, behielt ihre Meinung jedoch für sich. Sie starrte aus dem Fenster und tat, als interessiere sie all das nicht, doch insgeheim betete sie, Martha möge Edwin zur Besinnung bringen. »Und was wird aus deiner Arbeit?«
Edwin stocherte in seinen Zähnen herum und entfernte eine Fleischfaser. »Du glaubst doch nicht im Ernst, die Jakobiten hätten mir auch nur einen einzigen Farthing bezahlt, seit sie die Stadt eingenommen haben.«
Leah warf ihm einen verstohlenen Blick zu, dann musterte sie Martha nachdenklich. Ganz offensichtlich war ihr nicht bekannt, aus welcher Quelle Edwins Reichtum wirklich stammte und warum er Edinburgh so dringend verlassen wollte. Nacktes Entsetzen stand in ihren Augen zu lesen.
Edwin fuhr in beruhigendem Ton fort: »Ich habe die Möglichkeit, in Nairn in ein Geschäft einzusteigen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles wird gut werden.«
Obgleich Martha ein skeptisches Gesicht zog, vermutete Leah, dass Edwin die Wahrheit sagte. Nachdem ihm seine Arbeit im Zollamt nichts mehr einbrachte, hatte er sich wohl entschlossen, nunmehr auch aktiv ins Schmuggelgeschäft einzusteigen, das ihm bislang ein so angenehmes Leben ermöglicht hatte. Nairn lag in Nähe des Moray Firth, einer Küstenlinie, die so geschützt lag,
dass sich Schmuggelware leicht an Land bringen ließ. Das raue Gelände verhinderte zugleich, dass ständig Patrouillen dort herumstreiften. Je länger Leah darüber nachdachte, desto mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass Edwin Schmuggler werden wollte und Martha nicht die geringste Ahnung davon hatte.
Doch Martha ließ sich nicht so leicht beschwichtigen. »Edwin, wir können nicht so einfach gehen. Wir können doch nicht unser Haus und unsere Heimatstadt einfach diesen... diesen heidnischen Barbaren überlassen!«
»Gerade wegen dieser heidnischen Barbaren müssen wir ja von hier fort.« Edwin erhob sich, trat zur Tür und winkte die Magd zu sich, die anscheinend die ganze Zeit gelauscht hatte. »Wir sollten anfangen, unsere Sachen zu packen.«
Er wandte sich an die Magd, ohne Martha weiter zu beachten. »Sorg dafür, dass morgen Abend alles bereit ist. Die Kutsche wird an nächsten Morgen hier sein.« Die Magd nickte und zog sich zurück.
Marthas Stimme nahm einen flehenden Klang an. Sie hoffte noch immer, Edwin umstimmen zu können. »Wo sollen wir denn wohnen?«
»Ich habe ein Haus in der Stadtmitte gemietet.«
Leah begriff, dass er all dies schon vor dem Einmarsch der Jakobiten in Edinburgh geplant haben musste.
»Doch wohl keine Torfhütte, hoffe ich.«
Tränen schimmerten
in Marthas Augen. Ihr war klar, dass sie den Kampf verlieren und ihr Heim würde verlassen müssen.
»Natürlich nicht. Stell dich nicht dümmer, als du bist. Es ist ein sehr hübsches Haus.«
»Du warst doch noch nie in Nairn, wie kannst du da wissen, ob es in diesem Nest
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