Lee, Julianne
erzogen.«
Das war eine Überraschung. Noch nicht einmal in England gab es Leute, die sich jeden Abend wuschen. >Oft< baden bedeutete
für sie zwei Mal die Woche. »Ein Wunder, dass ihr nicht alle an Lungenentzündung gestorben seid.«
Sìle schüttelte den Kopf, und Kirstie sagte: »Pa war in seinem ganzen Leben nicht einen Tag krank.«
»Es sei denn, er musste sich einen Zahn ziehen lassen«, fügte Mary hinzu.
»Aye«, nickte Kirstie. »Davor hatte er allerdings furchtbare Angst. Aber davon abgesehen war er kerngesund. Er war der kräftigste Mann im ganzen Tal.« »Und der hübscheste«, bemerkte Mary. »Oh, aye«, bestätigte Kirstie. »Es ist ein Jammer, dass ich nie einen so hübschen Mann wie ihn heiraten werde, denn hier gibt es keinen. Aye, Pa hat wirklich gut ausgesehen.«
»Bis zu seinem Tod.« Sìle hielt den Kopf über ihre Arbeit geneigt. Ihre Stimme klang sanft und liebevoll. Die beiden anderen Mädchen verstummten und beschäftigen sich wieder mit ihrer Näherei.
»Aber er starb nicht an einer Lungenentzündung«, stellte Leah fest
Alle drei Mädchen schüttelten den Kopf und arbeiteten eine Weile schweigend weiter. Leah hätte gar zu gerne gefragt, ob ihr Vater ebenso gut ausgesehen habe wie Ciaran, wagte es jedoch nicht. Sie wollte die Unterhaltung wieder in Gang bringen. So lächerlich die Seehundgeschichte auch war... interessant klang sie trotzdem. Leah zermarterte sich den Kopf, wie sie das Gespräch unauffällig auf Ciaran lenken könnte, und sagte schließlich: »Ich habe gehört, dass euer Bruder »Ciaran Dubhach< genannt wird. Hat das etwas damit zu tun, dass Dylan Dubh sein Vater ist?«
Sìles Mundwinkel zuckten, während sie nach einer Antwortsuchte. »In gewisser Hinsicht schon. Es ist eine Art Wortspiel mit Vaters Namen, aber Pa wurde nach seinem dunklen Haar benannt, und Ciaran wird wegen seines Wesens >dubhach< gerufen. Das Wort bedeutet soviel wie >melancholisch<, >düster von Gemüt<. Euch ist vielleicht aufgefallen, dass er fast nie lächelt. So war er schon immer.«
»Ich verstehe.« Und das tat Leah wirklich. Wenn sie an Ciarans Kindheit dachte, begriff sie, dass er wenig Grund zur Fröhlichkeit hatte.
Wieder herrschte Schweigen, und wieder suchte Leah nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. »Eure Kleider sehen sehr bequem aus«, meinte sie endlich.
Die drei Schwestern stimmten sofort Lobgesänge auf ihre weichen Wollkleider an. Wie konnte Leah sich nur so fest schnüren, und hätte sie nicht gerne auch ein hübsches Kleid nach Highlanderart, und zufällig würde sich unter Sìles Sachen ein Stück Wollstoffbefinden, das ausgezeichnet zu Leahs Haar und Teint passen könnte.
Leah nickte, froh, dass das Eis zwischen ihnen gebrochen war. Natürlich durfte sie sich vor Vater nicht in einer Highlandtracht zeigen, aber das Schneidern des Kleides würde sie eine Weile beschäftigen. Es gab Schlimmeres, was sie hätte tun können, als ein unpassendes Kleid zu tragen. Vater sollte froh sein, dass sie das Beste aus ihrer Situation machte. Vielleicht konnte sie ihn mit diesem Argument beschwichtigen, wenn er von der Sache erfuhr. Sie widmete sich wieder ihrer Arbeit und schwatzte dabei mit Ciarans Schwestern über das besagte Stück Stoff, dass sicherlich kariert und somit unmöglich war, aber sie würde das Kleid ab und an tragen, um dem Laird und seiner Familie ihren guten Willen zu demonstrieren.
Im Juli hatte das Warten ein Ende. Calum trat in Aktion. Am späten Nachmittag kam einer der Pächter aus dem Dorf in die Burg gerannt und berichtete seinem Laird atemlos, dass eine Gruppe bewaffneter Männer auf das Tal zumarschiert käme. Der Bauer hatte zehn Leute gezählt, sehr zu Ciarans Erleichterung, denn zehn Mann reichten nicht aus, um ihn gewaltsam zu entmachten. Calum würde erst mit ihm reden müssen und nur dann zu den Waffen greifen, wenn ihm ein Kampf als letzter Ausweg erschien.
Da er in Bezug auf das Schwert des Königs kein Risiko eingehen wollte, ließ er es in seiner Kammer und schob nur Brigid in seine Gamasche. Dann ging er in den Burghof hinaus, um die Wachposten zusammenzurufen, die den herrschenden Gesetzen zum Trotz mit Schwertern bewaffnet waren. Mit diesen Männern an seiner Seite trat er Calums gleichermaßen gut bewaffnetem Trupp entgegen. Eóin ging rechts neben ihm, der Rest des Clans hielt sich hinter den Burgwächtern. Robin humpelte auf seinen Stock gestützt hinterdrein, holte jedoch auf, als die Gruppe auf dem Dorfplatz Halt machte. Ciaran
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