Lee, Julianne
daher nicht so dumm, so dicht an das Gitter zu kommen, das Calum nach ihr greifen konnte. »Was gibt es denn?«
Er lächelte wehmütig, sodass sie seine weißen Zähne sehen konnte. »Ich möchte nur Euer Haar berühren. Es sieht so weich aus. Hier im Torhaus ist es so einsam, ich bin seit Wochen keiner Frau mehr so nahe gekommen.« »Ihr seid doch erst fünf Tage hier.«
»Aye, aber sie kommen mir wie fünf Wochen vor.« Er kicherte. Leah verzog keine Miene. »Ihr sagtet, Ihr wolltet mir etwas erzählen.« »Nun - eben dass ich Euch äußerst anziehend finde.« Sein Lächeln wirkte ansteckend, aber sie ließ sich nicht täuschen. Sie hatte die Szene zwischen ihm und Ciaran mit angesehen. Es wäre ein schlimmer Fehler, ihm zu trauen. Seufzend drehte sie sich um und stieg die Stufen hinab. Seine Stimme gellte ihr hinterher. »Sassunach-Schlampe! Wisst Ihr, wer auch ein Auge auf Euch geworfen hat? Mein Bruder Ciaran!« Leah blieb unwillkürlich stehen, um zuzuhören, was Calum zu weiteren Worten ermutigte. »Aye! Ich habe gesehen, wie er Euch anstarrt! Hechelt Euch hinterher wie ein Rüde einer läufigen Hündin. Kommt ihm ja nicht zu nahe, Herzchen, sonst liegt er schneller zwischen Euren Schenkeln, als Ihr denkt.«
Heiße Röte stieg Leah ins Gesicht. Sie wandte sich ab und eilte die Treppe hinunter. Er rief ihr nach: »Ich wollte doch nur Euer Haar berühren!« Auf dem nächsten Stock, wo niemand sie mehr sehen konnte, blieb Leah stehen, lehnte sich gegen die kühle Steinmauer, holte tief Atem und wartete, bis die Röte aus ihren Wangen gewichen war. Dann blickte sie sich unsicher um. Am liebsten wäre sie umge-
kehrt, um noch mehr zu hören, denn sie schämte sich nicht wegen Calums allzu offener Worte, sondern weil sie hoffte, sie entsprächen der Wahrheit. O, wenn sie doch nur wahr wären.
Sowie sie sich beruhigt hatte, setzte sie ihren Weg rasch fort. Keiner der Männer ihres Vaters war in Sicht, der ihr hätte folgen können, und sie lächelte zufrieden in sich hinein, als sie die Zugbrücke überquerte. Im Dorf gab es eine Frau, die Leinen verkaufte, eine Schneiderin namens Iseabail Matheson. Sìle hatte ihr erklärt, sie würde das Haus an dem Ginstergestrüpp erkennen, das an der Ostseite wuchs.
Leah kam sich ein bisschen töricht vor, als sie auf die niedrige, von Weinreben überwucherte Hütte zuging, doch ihr Unbehagen verflog, als sie den Gesichtsausdruck der Schneiderin sah. Sie sprach zwar kein Wort Englisch, aber ihre Augen leuchteten auf, als sie Leah in dem hellen Tartankleid mit hellbraunem Muster entdeckte. Sie streckte eine Hand aus, zog Leah ins Haus und sprach langsam, in der Hoffnung, verstanden zu werden, auf sie ein. Doch Leah verstand kein Wort und konnte nur anhand der Gesten erraten, was gemeint war.
Ja, sie war hier, um Stoff zu kaufen. Leinen, genug, um ein Männerhemd daraus zu nähen. Ein ganzer Shilling? Nein, sie würde acht Pence zahlen. Sie hielt der Schneiderin das Geld hin, aber die Frau schüttelte den Kopf. Na schön, dann neun Pence.
Sie sah zu, wie Iseabail ein Stück gebleichtes Leinen abmaß, zu einem kleinen Päckchen faltete und es mit Garn verschnürte. Leah reichte ihr die Silberstücke, dankte ihr und wollte gehen.
Doch die Schneiderin hob eine Hand und erhob in raschem Gälisch Einwände. Was denn noch? Leise Furcht keimte in Leah auf, aber obwohl sie lieber die Flucht ergriffen hätte, blieb sie, um zu sehen, was die Frau vorhatte.
Immer noch eifrig plappernd, führte die Schneiderin sie zu einem Fenster, vor dem purpurrote Wildblumen wuchsen. Sie langte hinaus, pflückte eine der Blüten ab und reichte sie Leah, dabei bedeutete sie ihr, sie solle sie sich ins Haar stecken.
Leah ließ zu, dass die Frau die Blüte hinter ihrem Ohr befestigte Lächelnd bot sie ihr einen Farthing dafür an, der jedoch zurückgewiesen wurde. Die Schneiderin lächelte ebenfalls, schüttelte heftig den Kopf und machte Leah klar, dass es sich um ein Geschenk handelte. Also nickte sie, dankte der Frau noch ein Mal
und verabschiedete sich.
Auf dem Weg zurück zum Tigh traf sie Ciaran. Sofort begann ihr Herz wie toll zu klopfen. Er saß auf der Steinmauer eines Schafpferches in der Nähe der Zugbrücke, kaute auf einem langen, dünnen Weidenzweig herum und unterhielt sich mit drei anderen Männern: seinem jüngsten Bruder, dem alten Mann namens Robin und dem Kaufmann, der an Stelle einer Hand einen Haken hatte. Dabei blickten sie immer wieder zu den Schafen hinüber. Aus ihren
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