Lee, Julianne
gegenüber, meine ich. Nicht so liebevoll, wie mein Vater mit meinen Schwestern umging.«
Jetzt war es an Leah, zu nicken. »Meine Mutter war liebevoll, wisst Ihr, freundlich, großzügig, und sie wusste immer Rat. Eigentlich wusste sie alles, viel mehr als mein Vater, denke ich.« Ciaran verzog die Lippen, doch sie beharrte: »Doch, das ist wahr. Sie wusste so viel von der Welt, und sie kannte Vater so gut. Mir kam es so vor, als wüsste sie schon, was er tun würde, noch ehe ihm selbst es klar war.«
Ciaran lächelte, als er an die so oft zutreffenden Vorhersagen seines eigenen Vaters dachte. Einen Moment war er versucht, Leah zu fragen, ob ihre Mutter auch aus der Zukunft stammte, aber dann befand er, dass er ihr mit seinem katholischen Glauben und seiner Überzeugung von der Existenz von Feen schon genug zugemutet hatte. Eine Anspielung auf Reisen durch die Zeit war vermutlich zu viel für sie. Außerdem war er nicht sicher, ob er die Geschichte selbst glaubte. Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte, also schwieg er. Leah schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein, ihre Augen waren umflort und träumerisch ins Leere gerichtet. Ciaran konnte dem Drang, ihr Kinngrübchen zu berühren, nicht länger widerstehen, und streckte eine Hand aus.
Als sie erschrocken zurückwich, zog er die Hand weg. Lange Zeit wusste keiner von ihnen, was zu tun wäre. Ciaran wagte kaum zu atmen. Er suchte nach Worten, fand aber keine, also starrte er nur verlegen vor sich hin.
Endlich ergriff Leah wieder das Wort »Dieses Schachbrettmuster auf Eurem Kilt...«
»Tartan.« Ciaran war so froh, dass sie überhaupt noch mit ihm sprach, dass er ihr bereitwillig alles erklärt hätte. »Wir nennen es Tartan. Es ist ein bestimmtes Webmuster.«
»Einige davon finde ich sehr hübsch. Ich wundere mich nur, dass man nie erkennen kann, wo das Muster beginnt und wo es endet, egal wie lang die Stoffbahn ist.« Sie deutete auf seinen Kilt, einen fast fünfzehn Fuß langen feileadh mór. Manche Männer trugen lieber den feileadh beag, einen Kilt, der nicht mit dem Plaid verbunden war und der sich bequemer anlegen ließ, doch Ciaran bevorzugte den traditionellen Stil. Sein Vater hatte den feileadh mór sein ganzes Leben lang getragen.
Er zog das Plaid aus seinem Gürtel, streifte es von der Schulter und hielt es ihr hin. »Man kann ganz leicht erkennen, wo es beginnt Hier, schaut einmal genau hin. Seht Ihr, wie die Kettfaden verlaufen? Viele rote, ein paar grüne, dann wieder rote, dann blaue, wieder rote und so weiter.« Er spreizte Daumen und Zeigefinger, um die Breite anzudeuten. »Und dann wieder umgekehrt. Rot, Blau, Rot, Grün, Rot. Es kehrt sich immer wieder um, über die ganze Länge des Stoffs hinweg.«
Leah beugte sich vor und berührte die Wolle. Ihre Finger waren lang und schmal, die ovalen Nägel schimmerten rosig. Die Haut ihrer Hände war weich, blass und von keinerlei Linien durchzogen, die Knochen traten leicht hervor. Ciaran staunte, wie fein und dünn sie wirkten. Ihre Finger tanzten über den Stoff, ihre Wangen färbten sich rosig, und sie sagte leise: »Ja, jetzt sehe ich es. Wie ein Spiegelbild.«
Ciaran musste sich räuspern, bevor er weitersprach. »Und hier verlauft das Muster genau entgegengesetzt. Also haben wir keine Karos, sondern sich überschneidende Linien.« Auch er berührte leicht den Stoff, wobei er darauf achtete, ihre Hand nicht zu streifen, damit sie nicht dachte, er habe es absichtlich getan. »Ich sehe es.« Sie drehte den Stoff um. Die Rückseite wies ge-
nau dasselbe Muster auf. Sacht strich sie über die Wolle. »Sie ist so weich.«
»Unsere Schafe sind eine Cheviot-Kreuzung, die mein Vater vor Jahren gezüchtet hat. Ihre Wolle ist nicht ganz so weich wie die anderer Schafe hier in der Gegend, aber noch immer angenehm zu tragen, finde ich.«
Er blickte auf und empfand ihre Nähe plötzlich als beunruhigend. »Wir erzielen ...« Seine Stimme zitterte auf einmal wie die eines halbwüchsigen Jungen. Er hüstelte und verwünschte sich im Stillen dafür, Schwächen zu zeigen. »Wir erzielen von unseren Schafen sehr viel mehr Wolle als andere Clans. So können wir einen großen Teil davon auf den Märkten verkaufen und andere lebensnotwendige Dinge dafür einhandeln.« Sie kniete noch immer neben ihm. Nur zu gerne hätte er sie noch ein Mal berührt. Sie hatte ein französisches Parfüm aufgelegt, doch darunter verbarg sich ihr ganz persönlicher Duft, der ihm zu Kopf stieg. Begierde stieg
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