Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
leiten, oder Mr. dea’Gauss würde befugt, weitere Informationen über Priscilla Mendoza einzuholen – im Interesse des Korval-Clans. Was Shan yos’Galan sich wünschte oder erhoffte, war unwichtig. Er musste sich den Tatsachen stellen und das Notwendige akzeptieren.
Er hasste es, Zwängen unterworfen zu sein, doch er tippte eine neue Sequenz in das Keyboard und wandte sich mit seinen Instruktionen an den Tower.
Schiffsjahr 65, Reisetag 171, Vierte Schicht, 18.00 Uhr
P riscilla?«, platzte Gordy in das Gespräch. »Morgen, Rusty. Priscilla, ich habe nachgedacht. Könntest du mir beibringen, ein Drache zu sein?«
Rusty funkelte den Jungen wütend an; Priscilla spürte die aufflackernde Gereiztheit, ignorierte sie aber.
»Ja, das wäre möglich«, erwiderte sie und fing die Begeisterung auf, die Gordy ausstrahlte. »Aber gerade der Drache ist sehr kompliziert. Manche Leute arbeiten Jahre daran, erreichen es aber nie, sich als Drache zu fühlen. Es erfordert eine intensive Beschäftigung mit dem Bild und viel Disziplin.« Und die Seele einer Heiligen? Während der vergangenen Wochen hatte sich Lina bemüht zu demonstrieren, wie sich Empathen in den Weiten des Universums verhielten. Melant’i spielte in diesen Lektionen eine herausragende Rolle. Von Seelen war weniger die Rede.
Gordy stieß einen Seufzer aus. »Aber du kannst es, oder?«
Beherrschte sie dieses Motiv wirklich? Der Drache war ein Zauber des Innersten Zirkels – doch Moonhawks Seele war alt. Sie hatte den Pfad beschritten …
Vor ihrem inneren Auge entspann sich das Muster; in Gedanken hörte sie das Klatschen lederartiger Schwingen in der Luft. Sie atmete ein und änderte das Bild.
»Ja«, antwortete sie zu ihrer eigenen Verwunderung, »ich weiß, wie man’s macht. Und wenn du es wirklich lernen willst, kann ich damit anfangen, dich zu unterrichten. Aber du musst ein großes Lernpensum bewältigen, um nicht nur den Baum, sondern auch den Drachen zu verkörpern, Gordy. Und es gibt keine Garantie, dass es dir letzten Endes gelingt.«
»Könnte Rusty ein Drache sein?«, wollte Gordy wissen.
»Ich hege nicht den leisesten Wunsch, mich in einen Drachen zu verwandeln«, versetzte Rusty vehement. »Als Funktechniker bin ich sehr glücklich. Sag mal, Junge, hast du nicht irgendeine Arbeit, die auf dich wartet?«
»Nein, ich muss erst in zwanzig Minuten bei Ken Rik sein. Priscilla, wieso kann nicht jeder lernen, ein Drache zu sein? Die Sache mit dem Baum ging doch ganz leicht.«
»Das ist sie auch.« Der Baum, der Ort der Stille und heiteren Gelassenheit – jeder schaffte es, diese Motive zu verinnerlichen. Jedoch die stärkere Magie? »Der Baum ist ein sehr simpler Zauber, Gordy. Von ihm geht nur Gutes aus. Der Drache verkörpert zwei Gegensätze – er kann sowohl Waffe sein als auch Schutzschild. Dieses Motiv darf man nicht leichtfertig benutzen. Es mag sein, dass du in deinem ganzen Leben kein einziges Mal in eine Situation gerätst, die es erfordert, den Drachen anzurufen.«
Er runzelte die Stirn. »Heißt das, der Drache ist gleichzeitig gut und böse? Das ist genauso blöd wie Pallins Bild mit dem Fluss.«
»Ein Paradox beinhaltet eine sehr machtvolle Magie. Der Fluss der Stärke ist so ein Widerspruch in sich, allerdings noch ziemlich unkompliziert. Der Drache hingegen gilt als unglaublich komplex. Wenn du dich mit ihm beschäftigst, musst du lernen, das Gute gegen das Böse abzuwägen. Es ist wichtig, dass man die Kräfte, die dem Erhalt einer Sache dienen, mit dem Feuer versöhnt, welches alles verschlingt. Einerseits musst du aufpassen, dass die Flammen deinen freien Willen nicht zerstören, zum anderen darfst du nicht der Faszination der puren Kraft verfallen. Es gilt, dein … Herz zu bewahren. Du darfst dich der Sonne nicht zu sehr nähern.«
Rustys wachsendes Unbehagen fiel ihr auf. Sie verstummte, schob ihren Stuhl zurück und lächelte. »Und ich darf nicht zu spät zum Flugunterricht erscheinen. Immerhin ist der Captain höchstpersönlich mein Lehrer. Wir unterhalten uns später weiter, Gordy. Wenn du immer noch interessiert bist. Rusty, mein Freund, ich danke dir. In der nächsten Pause können wir uns leider nicht sehen. Ich habe nämlich eine Doppelschicht.«
Er pfiff durch die Zähne. »Nanu! Das muss ja ein toller Flugunterricht sein.«
»Kayzin Ne’Zame treffe ich heute ebenfalls nicht.« Sie schmunzelte. »Das wird ein richtiger Urlaub.«
Sie hörte Rusty noch lachen, als sie bereits zur Tür
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