Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
Fragen verstanden und sie beantwortet. Zweimal! Über andere Dinge hat sie sich verworren geäußert, aber nicht in der Mordsache. In diesem Fall schreibt das Gesetz vor, die Gefangene bis zu der am nächsten Tag stattfindenden Verhandlung festzuhalten. Angesichts des Geständnisses wird der Richter höchstwahrscheinlich eine Resozialisierung anordnen, und da es für die Tat keine Zeugen gibt …«
»Was sagen Sie da – es gibt keine Zeugen?«, fuhr der Captain dazwischen. »Der Junge sagte mir, er hätte versucht, Ihnen den Vorfall zu schildern, aber sie hätten sich geweigert, ihm zuzuhören!«
Polizeisergeant Velnik hob eine Hand. »Der Knabe kann nicht als Zeuge aussagen, Captain. Er ist nicht volljährig.«
»Auf seiner Heimatwelt«, ertönte eine nüchterne Stimme, »wäre Mister Arbuthnots Aussage vor einem Gericht zulässig. Das dafür vorgeschriebene Alter hat er erreicht.«
»Das mag ja sein, Mr. … äh?«
»Dea’Gauss«, ergänzte der ältere Herr und trat nach vorn. »Ich bin der geschäftliche Berater des Korval-Clans, dem Captain yos’Galan und dessen Mündel, Mr. Arbuthnot, angehören. Bitte erläutern Sie die Gründe für Ihre Weigerung, eine Person, die einen untadeligen Leumund genießt und sich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befindet, als Zeuge in einem Mordfall zuzulassen. Sie selbst haben gewisse Zweifel gesät, als Sie feststellten, Lady Mendoza habe wirr gesprochen, als es um Dinge ging, die die eigentliche Bluttat nicht betrafen. Sie haben die Pflicht, vor einem Richter sämtliche möglichen Interpretationen des Vorfalls darzulegen. Nur auf diese Weise kann ein gerechtes Urteil gefällt werden.«
»Sehen Sie, Mister …«
Nun ergriff die Hafenmeisterin die Initiative. »Mr. dea’Gauss hat auf einen spezifischen Punkt hingewiesen und eine sehr berechtigte Frage gestellt«, äußerte sie in resolutem Ton. »Warum darf der Junge nicht als Zeuge aussagen, Velnik? Ich habe Verhandlungen beigewohnt, bei denen viel jüngere Kinder in den Zeugenstand gerufen wurden, und deren Einlassungen wurden vom Gericht akzeptiert.«
»Thra Rominkoff, das Gesetz schreibt vor, dass bei Gewaltverbrechen die Zeugen ihre Aussage unter Einfluss derselben Droge machen müssen, wie sie dem Angeklagten verabreicht wird. Minderjährige – das heißt, Personen, die jünger sind als neunzehn Standardjahre – dürfen nicht zu einer Einnahme dieser Droge gezwungen werden.«
»Was ist das für eine Droge?«, wollte Shan wissen.
»Pimmadrene«, erwiderte die Hafenmeisterin. »Sie wird schon seit vielen Jahren angewendet. Das Mittel bewirkt eine vorübergehende Auflösung der Persönlichkeit, und auf diese Weise erhält man bei Verhören ehrliche Antworten.« Sie sah den Sergeant an. »Trotzdem habe ich erlebt, dass sehr junge Kinder als Zeugen auftraten. Wie erklären Sie sich das, Sergeant?«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »In diesen Fällen erteilten die Eltern die Erlaubnis, ihren Kindern die Droge zu geben.«
»Die Eltern oder der gesetzliche Vormund sind also dazu berechtigt, diese Entscheidung zu treffen?«
Der Sergeant nickte.
»Ist diese Droge gefährlich?«, erkundigte sich Shan.
»Gefährlich? Nein. Ein Arzt setzt die Dosis je nach Körpergewicht fest und ist während des gesamten Prozesses zugegen, um gegebenenfalls medizinische Hilfe zu leisten. Aber die Wirkung ist sehr unangenehm. So was sollte man keinem Kind zumuten. Das Mittel bewirkt Schwindelanfälle, Magenkrämpfe, Fieber, Orientierungslosigkeit. Manche Leute erblinden für ein paar Tage, aber das ist eher die Ausnahme. Der Arzt dort drüben kann Ihnen sicher mehr dazu sagen.«
»Ich mache es!«, platzte Gordy dazwischen und zerrte an Shans Hemdärmel. »Shan? Sag Ihnen, dass ich es tun werde. Ich bin dein Mündel.«
»Acushla, das solltest du dir sehr gut überlegen. Die Nebenwirkungen hören sich recht schlimm an. Und es stellt sich die Frage, ob dein guter Wille letzten Endes überhaupt etwas bezweckt. Natürlich werde ich tun, was du mir sagst, die Entscheidung liegt bei dir. Aber du musst dir ganz sicher sein.«
»Shan, hier geht es um Priscilla.« Er griff nach Shans großer Hand und blickte bekümmert zu ihm empor. »Sie sagten … Hast du eine Ahnung, was sie mit ihr anstellen, wenn der Richter verkündet, sie solle resozialisiert werden?«
»Ich weiß Bescheid, Gordy. Und jetzt sei still.«
Aber Gordy ließ sich nicht den Mund verbieten. Er klammerte sich an die Hand des Captains, blickte Mr. dea’Gauss an und
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