Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
Mal. Dann wandte sie sich mit blitzenden Augen an Lina.
»Diese äußerst korrekte Verhandlung hat mich hundertfünfzig Bits gekostet!«, schrie sie mit einer Aufwallung von Jähzorn. »Hundertfünfzig! Und wenn wir Solcintra erreichen, habe ich gerade mal einen Zehntel-Cantra verdient. Dem Schiff schulde ich Geld für meine Bekleidung – und ich besitze nichts mehr, was ich mit Fug und Recht als mein Eigentum betrachten könnte. Ich habe alles, aber auch alles verloren …« Entkräftet ließ sie sich auf ihre Koje fallen und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Locken, die wie eine wirre, schwarze Wolke von ihrem Kopf abstanden.
Lina trat zu ihr und legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter. Als Priscilla bei der Berührung zusammenzuckte, runzelte sie die Stirn. »Ich habe dich nicht auf der Straße angegriffen«, erklärte sie ernst.
Priscilla blickte hoch; in ihren Augen lag ein entschuldigender Ausdruck. Lina lächelte und streichelte mit den Fingerspitzen über Priscillas blasse Wange.
»Du weißt, wie sehr ich Gewalt verabscheue«, fuhr sie leise fort. »Von mir hast du nichts zu befürchten, Denubia, mein Liebling.« Liebevoll zupfte sie an einer schwarzen Locke. »Und was die finanziellen Folgen dieses Überfalls angeht – das Schiff verfügt über einen Rechtsfonds. Da du angegriffen wurdest, dich also keine Schuld trifft, werden dir die entstandenen Kosten ersetzt. Darüber solltest du mit dem Captain sprechen. War er wütend auf dich?«
Priscilla blinzelte. »Den Eindruck hatte ich nicht. Kann er überhaupt wütend werden?«
Lina lachte. »Und ob. Wenn er wütend gewesen wäre, wäre es dir sicher nicht entgangen. Und wegen dieser hundertfünfzig Bits mach dir bitte keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass das Schiff den Betrag übernimmt. Und wenn du nichts dagegen hast, rufe ich jetzt die Datei mit deinem Vertrag auf.« Sie ging zum Monitor.
Mühsam stemmte sich Priscilla vom Bett hoch, schlurfte mit weichen Knien zur Spiegelkommode und fing an, ihre Taschen zu leeren. Das verknotete Seidentuch legte sie vorsichtig neben eine Ansammlung von allerlei Schnickschnack. Zum Schluss klopfte sie die Taschen ab, um festzustellen, ob noch irgendwelche Sachen drinsteckten. Dabei ertastete sie etwas Flaches, Rechteckiges – die Karte, die der Captain ihr an der Shuttlerampe gegeben hatte. Sie zog sie heraus, nahm sie in Augenschein und schnappte nach Luft.
»Lina!«
Die Liadenfrau kam zu ihr gerannt. »Was gibt’s?«
Mit zitternder Hand zeigte Priscilla ihr die Karte. »Was ist das?«
Lina betrachtete die Karte flüchtig von beiden Seiten, lächelte und reichte sie Priscilla zurück. »Das ist eine vorläufige Pilotenlizenz Zweiter Klasse, ausgestellt auf Priscilla Delacroix y Mendoza. Ge’shada, meine Freundin. Ich gratuliere.«
»Meine Pilotenlizenz …« Priscilla starrte auf die Karte, dann legte sie den Kopf in den Nacken und stieß Laute aus, die entfernt an ein Lachen erinnerten. Genauso plötzlich beugte sie sich wieder vornüber, dieses Mal von heftigem Schluchzen geschüttelt.
Lina nahm sie in die Arme und sondierte ihr Gemüt mit dem sicheren Instinkt einer Heilerin; sie fühlte, wie geschwächt, wie verletzlich die innere Abwehr war, und sie erschrak, als sie auf die Nische stieß, in der sich ein ungeheurer Kummer einkapselte. Vorsichtig drang sie mit einem mentalen Fühler durch die Risse der Panzerung, um den Schmerz zu erkunden …
Priscilla stieß einen gequälten Schrei aus und sank auf die Knie. Lina drückte ihre Freundin an sich, schloss sie noch fester in die Arme; sie zog sich ein wenig aus Priscillas Geist zurück, hielt es für das Beste, wenn sich der Sturm erst einmal austobte.
Nach einer Weile verebbte das Schluchzen, und unter gutem Zureden brachte Lina ihre völlig erschöpfte Freundin zu Bett. Als sie dann nebeneinander lagen, Gesicht an Gesicht, fuhr sie fort, in Priscillas Gemüt zu forschen, sondierte in jede Richtung.
Priscilla bewegte sich, hob die tränennassen Lider, dann streckte sie zaghaft die Hand aus und ließ ihren Zeigefinger über Linas Gesicht wandern. Schließlich machte sich auf ihren eigenen Zügen ein Ausdruck der Verwunderung breit.
»Ich sehe dich, Schwester«, murmelte sie. Ihre Hand sank herab, und sie schlief ein, warm umhüllt von Trost und Liebe.
Schiffsjahr 65, Reisetag 143, Zweite Schicht, 6.00 Uhr
U nd warum dürfen wir das Parfüm hier nicht verkaufen?«, wollte Rusty wissen und funkelte Lina über seinen Eistoast
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