Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
treffen, zum Beispiel bei mir. Wir haben ein Baumhaus im Garten, das würde Chantal bestimmt gerne sehen.«
»Da wird nix draus«, sagte eine Männerstimme hinter mir. Ich zuckte zusammen. Die Stimme kannte ich. Betont langsam und gelassen drehte ich mich um. Vor Olaf dem Arschloch würde ich mir nicht die Blöße geben, Angst zu zeigen, auch wenn er einen Kopf größer war als ich.
»Warum denn nicht?«, fragte ich freundlich.
Er fixierte mich mit starrem Blick und kaute dazu mit offenem Mund Kaugummi. Der Pfefferminzgeruch überdeckte kaum die Bierfahne. Das Muskelshirt ließ die tätowierten Oberarme frei, mitsamt der aufgepumpten Bizepse, die bestimmt nicht allein vom Hanteltraining kamen.
»Die Chantal hat heute keine Zeit«, sagte Olaf das Arschloch. »Wir haben schon was anderes vor.«
»Wir haben ja noch gar keinen Tag ausgemacht«, sagte ich.
»Morgen geht auch nicht. Und übermorgen auch nicht.«
Aha. Schon klar.
»Kein Problem«, sagte ich. »Ich mache dann bei Gelegenheit mal mit Janin was aus.«
Irgendwann würde ich sie unter vier Augen antreffen, auch wenn es ihm noch so gegen den Strich ging. Er zog mit wütenden Blicken ab, Chantal an der Hand hinter sich herzerrend. Die Kleine schaute unglücklich über die Schulter zurück. Janin dackelte mit hängendem Kopf hinter den beiden her. Es war wie in einem Filmdrama, bei dem man das traurige Ende schon kommen sah. Er würde sie weiter verprügeln, sich besaufen, sie schlimmer verprügeln, und irgendwann, wenn es ihm nicht mehr reichte, die Mutter zu schlagen, würde ihm auch bei dem Kind die Hand ausrutschen. Wenn Janin und Chantal Glück hatten, wurde Olaf das Arschloch bei einem Einbruch oder einer Prügelei mit irgendwem, der sich wehrte, erwischt und wieder in den Knast gesteckt. Olaf war auf Bewährung draußen. Wenn er wieder einsaß, schaffte es Janin vielleicht schneller, von ihm loszukommen. Sie musste es schaffen.
»Mama, der Olaf ist überhaupt nicht der richtige Papa von der Chantal«, sagte Timo. Er hatte sich selbst die Schuhe und das Jäckchen angezogen und stand wartend neben mir.
»Ich weiß«, sagte ich. Zum Glück, fügte ich im Stillen hinzu.
»Er ist bloß ein überflüssiger Kerl im Haus«, sagte Timo. »Das hat die Janin zur Chantal gesagt.«
»Ja, so was gibt es manchmal«, meinte ich.
»Ich bin froh, dass wir keinen überflüssigen Kerl im Haus haben.«
»Das kannst du wirklich laut sagen«, stimmte ich zu.
»Ich bin froh, dass wir keinen überflüssigen Kerl im Haus haben!«, wiederholte Timo folgsam, so laut, dass es durch den Flur hallte.
Alle Köpfe wandten sich in unsere Richtung. Rasch ergriff ich Timos Hand und strebte zum Ausgang.
Als ich ihn auf der Rückbank des Wagens anschnallte, tat mir die Wunde weh, ich hatte es wohl für den Anfang etwas übertrieben. Vielleicht sollte ich doch Berit fragen, ob sie die nächsten Tage den Fahrdienst und die Einkäufe für mich übernahm.
Vor unserem Haus stand der grünweiße Kleinwagen vom Pizzaservice.
»Hat Lieselotte wieder Pizza gekocht?«, wollte Timo wissen.
»Wie bitte?«
Er deutete auf den Wagen. »Das Auto ist immer gekommen, wenn Lieselotte Pizza gekocht hat.«
»Als ich im Krankenhaus war?«
Er nickte.
»Wie oft denn?«
Er fing an, es an seinen Fingern abzuzählen, bei fünf hörte er auf. Über den Gartenweg kam uns der junge Mann vom Lieferservice entgegen. Er strahlte uns an, kein Wunder bei so guten Kunden. Sein Lächeln wurde noch breiter, als in diesem Moment Sophie auf ihrem Fahrrad um die Ecke gebogen kam. Hätte ich nicht unübersehbar in der Einfahrt gestanden, hätte er sich bestimmt länger aufgehalten, um auf die Beine meiner Tochter zu starren. Es war warm, sie hatte ein kurzes Hängerchen an, bei dem es sowohl oben als auch unten entschieden an Stoff haperte. Sie erwiderte sein Lächeln, und er stolperte über seine Füße, während er zurück zum Lieferwagen ging.
»Hi, Mama«, sagte sie und küsste mich auf die Wange, bevor sie die Schultasche vom Gepäckträger nahm und mit Timo und mir zum Haus ging. »Schön, dass du wieder daheim bist. Hast du mein pinkes S. Oliver T-Shirt irgendwo gesehen? Ich bräuchte übrigens noch zehn Euro für so ne blöde Schullektüre, die hab ich ausgelegt. Oh, gibt es heute schon wieder Pizza?«
*
Danach herrschte die unausgesprochene Vereinbarung, dass meine Mutter nicht mehr kochte. Dafür kümmerte sie sich in den nächsten Tagen ums Frühstück, was sich darauf beschränkte, dass sie die
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