Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
schon, da muss ich Überzeugungsarbeit leisten.«
Sophie kam in die Küche, das hübsche junge Gesicht frisch von der kalten Dusche, der blonde Zopf noch feucht auf der rechten Schulter.
»Morgen, Mama! Morgen, Lieselotte.« Sie setzte sich und schmierte sich ein Brötchen, während ich nach oben ging, um Timo zu wecken. Mein Alltag gestaltete sich bereits wieder ganz normal, abgesehen davon, dass ich noch krankgeschrieben war und deshalb nicht in die Redaktion musste. Aber Jens hatte schon angerufen und gefragt, wie es mir ginge, nicht etwa, weil er so besorgt um mich war, sondern weil er in der Zeitung von meiner Erholung gelesen hatte.
»Dann kannst du doch jetzt schon was zu Hause schreiben«, sagte er.
»Ich bin krankgeschrieben.«
»Ach komm! Ein paar Spalten, das geht ganz leicht im Sitzen. Hab ich auch gemacht, als ich vorletztes Jahr den Fuß gebrochen hatte. Dafür wird dann auch keiner stänkern, wenn du während der Krankschreibung in der Stadt gesichtet wirst.« Er hatte auch gleich einen Vorschlag für ein neues Thema, das ich auf Wunsch des Verlegers bearbeiten sollte. Statt über klamme Mütter sollte ich über Gewaltopfer schreiben. Also über arme Frauen im Sinne von arm dran .
»Da hast du doch jetzt ganz authentische Erfahrungen«, hatte Jens gemeint, nachdem er sich von seinem Lachkrampf erholt hatte.
Ich war drauf und dran gewesen, das Handy an die Wand zu werfen, aber es konnte ja nichts dafür, dass mein Chef bekloppt war. Das von unserem Verleger gewünschte Thema war es allerdings nicht, eigentlich war es sogar genau das Thema, das mich schon lange interessierte und über das ich schon immer hatte schreiben wollen. In der nächsten stillen Minute würde ich mich damit auseinandersetzen.
Aber nicht heute, da standen jede Menge Erledigungen auf meiner Agenda. Zuerst musste ich zum Verbandswechsel. Dann eine Runde durch den Supermarkt, anschließend rasch was kochen, Timo abholen, und hinterher zum Polizeipräsidium wegen des Phantombilds. Tobias Anders hatte mir gemailt, und wir hatten für halb drei einen Termin in seinem Büro ausgemacht.
Beim Arzt musste ich eine halbe Stunde warten, bevor ich an die Reihe kam. Im Wartezimmer wurde ich neugierig von allen Seiten beäugt. Zwei der Patientinnen tuschelten miteinander, während sie verstohlen in meine Richtung blickten. Eine alte Frau erklärte ihrem noch älteren Mann, wer ich war.
»Nein, Vati, das ist nicht die Veronica Ferres. Das ist die Frau, die neulich von dem Bankräuber erschossen wurde.«
Sie musste es zwei Mal sagen, weil Vati schwerhörig war.
»Aber sie lebt doch noch!«, rief Vati.
»Sie wurde ja auch nur fast erschossen.«
Entnervt versteckte ich mich hinter einer Frauenzeitschrift. Ich ließ mich zwar sehr gerne mit Veronica Ferres vergleichen – tatsächlich hatten mir schon öfter Leute gesagt, ich sähe ihr ein bisschen ähnlich –, aber abgesehen von der Haarfarbe und davon, dass wir beide Mitte vierzig waren, hatten wir meines Erachtens nicht viel gemeinsam. Sie war schön und glamourös und erfolgreich und außerdem garantiert einen halben Kopf größer als ich.
Der Arzt hatte zum Glück weder Zeit noch Lust, blöde Fragen zu dem Banküberfall zu stellen, er interessierte sich nur für meine Wunde.
»Schussverletzungen habe ich nicht oft«, sagte er. »Eigentlich hatte ich noch nie eine. Und dabei praktiziere ich schon fünfundzwanzig Jahre. Unglaublich, oder?«
Ich nickte, obwohl ich nicht wusste, was er unglaublich fand – dass er so lange in seinem Job durchgehalten hatte oder dass er endlich mal eine Schusswunde zu sehen kriegte.
»Sieht ganz unscheinbar aus«, befand er. »Winzig eigentlich.«
Ich riskierte einen Blick, obwohl ich es lieber vermieden hätte. Schon im Krankenhaus hatte ich beim Verbandswechsel beharrlich an die Decke geschaut.
Zu meinem Erstaunen sah die Wunde wirklich nicht besonders spektakulär aus. Noch etwas geschwollen und wulstig von der Naht, aber man konnte sich schon gut vorstellen, wie es in ein paar Wochen sein würde – eine flache, ziemlich unauffällige Narbe, vielleicht mit einer leichten Vertiefung. Bestimmt nicht so eindrucksvoll, wie man bei der Wucht, mit der das Geschoss mich auf den Boden genagelt hatte, glauben sollte.
Ich bekam ein frisches Wundpflaster und sollte in acht Tagen wiederkommen.
Nach dem Arztbesuch ging ich einkaufen, holte meinen Sohn aus dem Kindergarten ab und tat auch sonst alles, was ich für gewöhnlich unter der Woche um die
Weitere Kostenlose Bücher