Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
geschieden und ein echt netter Kerl, so jedenfalls ihre Beschreibung. Er war wirklich sympathisch und gefiel mir auf Anhieb, denn er war rücksichtsvoll und zuvorkommend. Als wir ungefähr zwei Monate zusammen waren, sprach er schon von Heirat. Ich erzählte es Berit, die daraufhin damit herausrückte, dass er nicht bloß einfach geschieden war wie die meisten Leute, sondern schon drei gescheiterte Ehen hinter sich hatte. Eigentlich sogar dreieinhalb, denn eine bereits festgesetzte vierte Hochzeit, so erfuhr ich von einer anderen Bekannten, hatte er kurz vor dem Termin platzen lassen, weil er inzwischen Kandidatin Nummer fünf kennengelernt hatte – mich.
Danach hatte ich von weiteren Männerbeziehungen die Nase voll. Berit hatte noch zwei oder drei Mal versucht, mich zu verkuppeln, aber ich hatte mich als resistent erwiesen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Im Leben gab es wichtigere Dinge als den Mann für schwache Stunden.
Als ich jedoch hier so nah neben Tobias Anders saß, kamen mir unwillkürlich Zweifel, ob das wirklich zutraf.
Eher widerwillig lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf das Computerprogramm, das Tobias gestartet hatte. Aus einer Auswahl von verschiedenen Gesichtsformen, Augen-, Mund- und Nasenpartien sowie Frisuren konnte man die unterschiedlichsten Komponenten auswählen und zusammenstellen. Sogar Ohren konnte man sich aussuchen.
»War sein Gesicht eher schmal, rund oder kantig?«, fragte Tobias Anders.
»Ganz hager. Er war ungefähr in unserem Alter«, sagte ich. »Flusige braune Frisur mit Stirnfransen. Fliehendes Kinn. Kein Bart. Eng stehende Augen. Leichter Überbiss.«
Tobias (mit einem Mal fand ich den Vornamen voll und ganz ausreichend, zumindest gedanklich) klickte sich nach meinen Angaben durch das Menü. Bei der Nase dauerte es am längsten, ich konnte mich nicht entscheiden, wie spitz und lang sie war, aber dann war auch das geschafft – vom Monitor blickte mich das Frettchen an. Es war der Mann aus dem Lokal, so wie er leibte und lebte.
»Das ist der Typ!«, sagte ich. Einschränkend fügte ich hinzu: »Natürlich der aus dem Lokal, nicht der aus der Bank.«
»Sagen wir: Wir wissen es nicht«, korrigierte Tobias mich.
»Was passiert jetzt mit dem Bild?«, wollte ich wissen.
»Wir suchen damit nach Übereinstimmungen in der Verbrecherkartei.«
»Sie meinen, das kann das Programm ebenfalls?«
Er schüttelte den Kopf. »Ein digitaler Abgleich ist noch nicht möglich, das wird visuell gemacht. Wir suchen eventuell passende Kandidaten heraus und würden Sie anschließend noch mal herbitten.« Er lächelte, als er das sagte. Womit sich meine Unruhe sofort beträchtlich verstärkte. Genau genommen fühlte es sich an wie ein Herzflattern. Fast wie vor einem Date. Was bei Licht betrachtet absolut lächerlich war, denn geschäftsmäßiger und nüchterner als in diesem Büro ging es höchstens noch beim Zahnarzt zu. Auch der Anlass war völlig unromantisch – die Besichtigung von Verbrecherfotos, also bitte! Ein absolutes Nicht-Date, oder?
Dazu kam, dass er genauso alt war wie ich. Je älter aber ein Mann wurde, desto jünger musste, rein beziehungsrechnerisch, die Frau sein. Schon im Mittelalter hatte man die Faustformel verwendet: Alter des Mannes geteilt durch zwei plus sieben ergibt Alter der Frau. Demzufolge musste die Frau, wenn der Mann vierzig war, siebenundzwanzig sein. Oder wenn der Mann sechzig war, siebenunddreißig. Und weil die Lebenserwartung mittlerweile viel höher war als noch vor fünfhundert Jahren, war das noch großzügig berechnet, also quasi unteres Limit. Da konnte meine Mutter erzählen, was sie wollte, sie war bloß eine seltene Ausnahme, die die Regel bestätigte. Welche da lautete: Die Frau hatte jünger zu sein als der Mann, und zwar deutlich. Fünfundzwanzig Jahre Abstand waren heutzutage völlig normal und dreißig noch vertretbar. Bei fünfunddreißig Jahren Unterschied zuckten eventuell ein paar Leute zusammen (und dachten: O mein Gott, er ist älter als mein Opa und Gebissträger, und zu ihrem vierzigsten Geburtstag kommt er mit einem Rollator!), aber dann gewöhnten sie sich schnell daran.
»Damit wären wir für heute fertig«, sagte Tobias.
Ich stand zögernd auf. Eigentlich konnte ich ihm noch erzählen, dass ich glaubte, den Typen aus dem Lokal von früher zu kennen – in diesem Fall hätte ich noch eine Weile bleiben und mit Tobias darüber fachsimpeln können, was mir dabei durch den Kopf ging –, doch dann klingelte
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