Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Fritz Jück, der den Arm um die Schultern des Frettchens gelegt hatte.
»Das ist er, zusammen mit meinem Dachdecker«, sagte ich aufgeregt zu Tobias Anders. Ein großer Teil der Aufregung kam daher, dass er so dicht bei mir saß. Ich zeigte auf das Frettchen. »Der war in dem Lokal!«
»Hm«, sagte Tobias Anders. »Das ist jetzt echt blöd. Der ist nämlich untergetaucht, um sich der Strafvollstreckung zu entziehen. Man hat ihn zu hundertfünfundachtzig Jahren verurteilt, wegen illegaler Müllentsorgung. Er ist gemeinsam mit dem Dachdecker abgehauen.«
»Aber der Dachdecker hat doch noch meine Pfannen!«, rief ich erschrocken.
»Die hat er leider für ein anderes Dach benutzt«, sagte Tobias. Er blickte aus dem Fenster, wo sich schwarze Wolken am Himmel ballten. »Ich glaube, da kommt heute noch was runter. Sieht nach einer richtigen Sintflut aus, was meinen Sie?«
*
Am nächsten Morgen war der Himmel glücklicherweise strahlend blau, nicht das kleinste Wölkchen war zu sehen. Dafür herrschte beim Zähneputzen wie üblich massives Gedrängel vor der Küchenspüle und dem kleinen Waschbecken im Gästeklo. Der Chef des Gronauer-Clans hatte versprochen, noch in dieser Woche die Fliesen im neuen Kellerbad zu verlegen, dann war die Zeit der improvisierten Hygiene vorbei. Sophie und Benedikt hatten die letzten Tage regelmäßig bei Freunden geduscht, ich hatte zwei Mal Berit besucht und bei ihr gebadet. Meine Mutter war auf das nahe gelegene Schwimmbad ausgewichen und hatte dankenswerterweise Timo mitgenommen, natürlich nicht ohne meinen eindringlichen Hinweis, dass ein Seepferdchen keine Auszeichnung für Leistungsschwimmer bedeutete.
An diesem Morgen wartete ich ab, bis alle aus dem Haus waren – Berit hatte Timo zum Kindergarten gebracht und meine Mutter zum Friseur –, dann suchte ich mir eine ruhige Ecke zum Telefonieren. Wie üblich stellte sich das als schwierig heraus, denn mittlerweile wuselten schon wieder überall die Handwerker herum. Mir blieb nur das Wohnzimmer, der einzige Raum, in dem noch eine Spur von Privatsphäre herrschte.
»Guten Morgen, hier ist Annabell Wingenfeld«, sagte ich, als Tobias sich meldete. »Sie hatten mir wegen der Fotos gemailt.«
Ich hatte den Satz noch nicht beendet, als im Treppenhaus eine Bohrmaschine angeworfen wurde.
»Guten Morgen«, hörte ich Tobias noch antworten. Seine nächsten Worte gingen in dem ohrenbetäubenden Geratter unter.
In der Wohnzimmertür tauchte ein Großneffe (oder sonstiges männliches Familienmitglied, man wusste es nie genau) der Gronauers auf. »Wir müssen jetzt mal das Wasser abstellen!«, schrie er.
»Für wie lange?«, brüllte ich gegen den Bohrlärm an.
»Ungefähr bis drei oder so!«, schrie Großneffe Gronauer.
»Wie wäre es heute Nachmittag um zwei?«, rief es aus der Telefonleitung.
»Zwei Uhr würde mir gut passen!«, schrie ich.
»Das schaffen wir nicht, es dauert garantiert bis drei Uhr«, schrie der Installateur. Hinter ihm erschien sein Chef. »Wir haben jetzt das Wasser abgestellt!«, brüllte er.
»Tut mir leid, hier wird es gerade ein bisschen laut«, rief ich in mein Handy. »Bei mir wird renoviert!«
»Ich weiß«, rief Tobias zurück. »Es stand ja in der Zeitung!«
Der Bohrmaschinenlärm kam näher.
»Okay, um zwei Uhr dann!«, schrie ich und legte auf. Im selben Augenblick hörte das Rattern auf.
Dafür klingelte es Sturm an der Haustür. Es war die Praktikantin vom Kindergarten, sie hatte Timo an der Hand, der blass und unglücklich neben ihr stand. »Wir haben andauernd bei Ihnen angerufen«, sagte sie. »Aber es ging niemand dran.«
Ich hatte nichts gehört. Kein Wunder, bei dem Lärm.
»Du lieber Himmel, was ist denn los?«, wollte ich wissen.
»Er hat in die große Schachtel mit der Wachsmalkreide gebrochen.«
*
»Tja«, sagte der Kinderarzt nach der Untersuchung. Er lehnte sich in einem Stuhl zurück und ließ das Stethoskop auf seine Brust baumeln. »Ich kann nichts feststellen. Kein krankhafter Befund.«
»Aber er hat sich heute schon wieder übergeben! Das kann unmöglich gesund sein!«
»Sie sehen doch, dass es ihm gut geht.«
»Ja, aber heute Morgen ging es ihm mies.«
»Vielleicht war er aufgeregt. Oder er hat zu schnell gegessen. Bei Kindern kann das leicht passieren.«
»Ich bin dreifache Mutter«, hob ich hervor. »Und ich weiß, dass Kinder hin und wieder ko … ähm, brechen. Schließlich ist das bei meinen älteren Kindern auch gelegentlich vorgekommen, als sie klein waren.
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