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Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Titel: Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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Sie hatte wieder angefangen, um ihren Bruder zu weinen – es war, als klaffte in ihrer Brust ein riesiges Loch, durch das jeder ihr gebrochenes Herz sehen konnte. Ihre braunen Augen, die sonst so selbstsicher blicken – plötzlich wirkten sie nur noch … matt.
    Ich zucke zusammen. Ich weiß genau, wie es ist, einen großen Bruder zu verlieren. Ich beobachte, wie ihre Augen sich hinter den geschlossenen Lidern bewegen, wahrscheinlich hat sie gerade den nächsten Albtraum, aus dem ich sie nicht retten kann. Also tue ich einfach, was sie sonst immer bei mir macht: streiche ihr übers Haar und küsse sie auf die feuchte Stirn, die Wangen, den Mund. Zu helfen scheint es nicht, aber ich mache trotzdem weiter.
    Im Krankenhaus ist es relativ leise, doch ein paar Geräusche verbinden sich in meinem Kopf zu einer Decke aus unerträglichem Rauschen: das schwache Surren der Lampen und irgendein Tumult, der gedämpft von der Straße hereindringt. Wie in der Republik sendet ein Bildschirm an der Wand die neuesten Nachrichten von der Front. Doch anders als in der Republik ist die Sendung genau wie die Straßen hier voller Reklame für Sachen, die mir überhaupt nichts sagen. Nach einer Weile schaue ich nicht mehr hin. Die ganze Zeit muss ich an meine Mutter denken, daran, wie sie Eden getröstet hat, als er an der Seuche erkrankt ist, wie sie ihm beruhigend ins Ohr geflüstert und ihm mit ihren dürftig verbundenen Händen über die Wange gestreichelt hat, wie John ihm einen Teller Suppe ans Bett gebracht hat.
    »Das alles tut mir so leid«, hat June gesagt.
    Ein paar Minuten später geht die Zimmertür auf und eine Soldatin kommt auf mich zu. Es ist die Soldatin, die mich vorhin erkannt und uns in dieses Krankenhaus gebracht hat. Sie bleibt vor mir stehen und neigt kurz den Kopf. Als wäre ich ein Offizier oder so was. Genauso erstaunt bin ich über die Tatsache, dass sie die einzige Soldatin im Raum ist. Die Leute hier scheinen in June und mir keine Bedrohung zu sehen. Keine Handschellen, noch nicht mal ein Wachposten vor der Tür. Ob denen klar ist, dass wir diejenigen sind, die den Anschlag auf den Elektor verhindert haben? Wenn sie wirklich die Patrioten unterstützen, werden sie es zwangsläufig früher oder später herausfinden. Vielleicht wissen sie aber auch gar nicht, dass wir für die Patrioten gearbeitet haben. Schließlich hat Razor uns erst vor Kurzem ins Boot geholt.
    »Ihrer Freundin geht es einigermaßen gut?« Ihr Blick ruht auf June. Ich nicke nur. Es ist wohl das Beste, wenn niemand hier weiß, dass June das Wunderkind der Republik ist. »In ihrem derzeitigen Zustand«, fügt die Soldatin dann hinzu, »wird sie noch eine Weile hierbleiben müssen, bis es ihr wieder so gut geht, dass sie aufstehen kann. Sie können gerne mit ihr hierbleiben, ansonsten würde sich die DesCon-AG freuen, Ihnen ein eigenes Zimmer zu sponsern.«
    Die DesCon-AG – schon wieder dieser Kolonien-Jargon, den ich nicht verstehe. Aber nichts läge mir ferner, als ihre Großzügigkeit infrage zu stellen. Wenn ich hier berühmt genug bin, um eine Sonderbehandlung im Krankenhaus zu bekommen, dann werde ich sie bestimmt nicht ablehnen. »Danke«, erwidere ich. »Aber ich bleibe lieber hier.«
    »Wir werden ein zweites Bett für Sie hereinbringen lassen.Morgen früh sehen wir dann wieder nach Ihnen.«
    Ich versinke wieder in meinen Grübeleien über June. Als die Soldatin keine Anstalten macht zu gehen, sehe ich noch einmal mit erhobenen Augenbrauen zu ihr hoch. Sie wird rot. »Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
    Sie zuckt mit den Schultern und versucht, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen. »Nein. Ich wollte nur … Sie sind also Daniel Altan Wing?« Sie spricht meinen Namen aus, als müsste sie seinen Klang erst auf der Zunge testen. »Evergreen Entertainment druckt immer so viele Geschichten über Sie in den Klatschblättern. ›Rebell der Republik, das Phantom, der Joker ‹ – ich glaube, Sie bekommen jeden Tag einen neuen Spitznamen inklusive Foto. Es heißt, Sie wären ganz allein aus einem Gefängnis in Los Angeles ausgebrochen. Hey, sind Sie wirklich mal mit Lincoln, dieser Sängerin, ausgegangen?«
    Die Vorstellung ist so lächerlich, dass ich lachen muss. Ich wusste gar nicht, dass man in den Kolonien die Propaganda-Stars der Republik kennt. »Lincoln ist ein bisschen zu alt für mich, meinen Sie nicht auch?«
    Mein Lachen löst die Spannung zwischen uns und die Soldatin fällt mit ein. »Na ja, das stand jedenfalls

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