Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
seit einer ganzen Weile beobachten, wie wir uns ihnen nähern, vermutlich sind alle Waffen direkt auf uns gerichtet. Ich wette, keiner von ihnen hat je einen abtrünnigen Kolonienjet zu Gesicht bekommen.
Kaede geht in den Sturzflug. Mehr als das – sie lässt uns beinahe im 90-Grad-Winkel abwärtsrasen, als wollte sie, dass wir auf der Erde zerschellen. Hinter mir schnappt Day nach Luft. Die Gebäude unter uns schießen auf uns zu. Sie hat die Kontrolle verloren. Es muss so sein. Wir sind getroffen worden .
In letzter Sekunde reißt Kaede den Jet wieder hoch, so knapp, dass ich fürchte, die Dächer der Gebäude könnten jeden Moment den Flugzeugrumpf aufreißen. Dann drosselt sie jäh die Geschwindigkeit, bis wir so langsam dahingleiten, dass wir uns gerade noch in der Luft halten können. Im nächsten Moment wird mir klar, was sie vorhat. Es ist der komplette Wahnsinn. Sie will uns gar nicht über den Panzerwall fliegen, sie wird versuchen, uns durch einen der Bahntunnel in die Stadt zu bringen. Einen Tunnel wie der, den ich auf meiner Zugfahrt mit dem Elektor passiert habe. Natürlich . Die Raketensysteme entlang des Panzerwalls sind nicht darauf ausgerichtet, ein Ziel so nah am Boden zu treffen, der Schusswinkel wäre zu flach. Und mit Maschinengewehren allein können sie uns nicht aufhalten. Doch wenn Kaede nicht auf den Punkt genau zielt, werden wir an der Mauer zerschellen und in Flammen aufgehen. Wir sind jetzt so nah, dass ich auf dem Panzerwall Soldaten auf und ab rennen sehe. Ihre Kommunikation muss jetzt blitzschnell ablaufen.
Doch im Moment spielt das alles keine Rolle. Im einen Moment ist der Panzerwall noch hundert Meter von uns entfernt und im nächsten sausen wir schon auf den schwarzen Schlund eines offenen Bahntunnels zu.
»Festhalten!«, ruft Kaede. Sie drückt den Jet noch weiter nach unten, als ob das überhaupt noch möglich wäre. Vor uns gähnt die Öffnung.
Das schaffen wir nie. Der Tunnel ist viel zu eng.
Dann sind wir plötzlich drinnen und einen Moment lang ist alles pechschwarz. Rechts und links stieben grelle Funken auf, wo die Tragflächen des Jets an den Tunnelwänden entlangschrammen. Über uns erhebt sich ein dumpfes Grollen. Sie versuchen, den Eingang zu schließen, begreife ich, aber dafür ist es zu spät.
Noch eine Sekunde. Dann schießen wir aus dem Tunnel und sind in Denver. Kaede zerrt an einem Hebel und verringert die Geschwindigkeit.
»Hochziehen, hochziehen !«, schreit Day. Gebäude sausen an uns vorbei. Wir sind zu dicht über dem Boden – und fliegen direkt auf die Seitenwand einer großen Kaserne zu.
Kaede reißt den Jet scharf zur Seite. Wir verfehlen das Gebäude um Haaresbreite. Dann sind wir unten, richtig unten. Die Maschine kracht auf den Boden und schlittert weiter. Wir werden hart nach vorn in unsere Sicherheitsgurte gedrückt. Es fühlt sich an, als würden mir die Gliedmaßen abgerissen. Zivilisten und Soldaten rennen aus dem Weg. Funken blitzen an der Außenhaut des Cockpits auf; ich begreife, dass es willkürliche Schüsse von erschrockenen Soldaten sind. Ein paar Häuserblocks von uns entfernt versammeln sich Menschen an der Straße – alle starren ungläubig auf den Kampfflieger, der über den Asphalt schlittert.
Als eine unserer Tragflächen an einem Gebäude hängen bleibt und uns seitwärts in eine schmale Gasse schleudert, kommen wir schließlich zum Stehen. Mit einem Ruck pralle ich zurück in meinen Sitz. Bevor ich auch nur Luft holen kann, springt unsere Kabinenabdeckung auf. Es gelingt mir, meinen Gurt zu öffnen, und ich klettere schwankend auf den Rand des Cockpits.
»Kaede.« Ich blinzele, um sie und Day durch den Qualm sehen zu können. »Wir müssen –« Doch die Worte bleiben mir im Hals stecken.
Kaede liegt zusammengesackt in ihrem Pilotensitz, den Sicherheitsgurt noch immer geschlossen. Ihre Fliegerbrille sitzt auf ihrem Kopf – wahrscheinlich hat sie sie während des gesamten Flugs kein einziges Mal benutzt. Ihr leerer Blick ist auf die Knöpfe vor ihr auf dem Steuerpult gerichtet. Auf der Vorderseite ihres Hemdes hat sich ein Blutfleck gebildet, nicht weit von der Wunde entfernt, die sie sich zugezogen hat, als wir in den Jet geflohen sind. Ein Querschläger muss während unserer Bruchlandung direkt durch die Frontscheibe gegangen sein und sie getroffen haben. Kaede, die Minuten zuvor noch so unbesiegbar gewirkt hat.
Einen Moment lang hocke ich da wie erstarrt. Das Chaos ringsum scheint plötzlich in weite Ferne zu
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