Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
dich?«
»Benommen.« Ich versuche, ihr Gesicht zu berühren. Ich bin immer noch nicht ganz überzeugt davon, dass sie real ist.
Tess dreht sich zu der Tür hinter sich, um sich zu vergewissern, dass niemand dort ist. Dann drückt sie einen Finger auf ihre Lippen. »Keine Sorge«, sagt sie leise. »Das gibt sich wieder. Die Ärztin hat ziemlich zufrieden gewirkt. Bald geht es dir wieder besser und dann können wir uns auf den Weg zur Front machen und den Elektor töten.«
Es ist erschreckend zu hören, wie mühelos Tess das Wort töten über die Lippen geht. Einen Augenblick später wird mir bewusst, dass mein Bein nicht mehr wehtut – nicht mal ein winziges bisschen. Ich versuche, mich auf die Ellbogen hochzustemmen, um mehr sehen zu können, und Tess schiebt das Kissen in meinem Rücken höher, damit ich sitzen kann. Vorsichtig werfe ich einen Blick auf mein Bein, obwohl ich mich kaum traue hinzusehen.
Tess sitzt neben mir und löst den weißen Verband, der den Bereich um die Wunde bedeckt. Unter dem Gazestoff kommt glatter Stahl zum Vorschein, ein künstliches Knie anstelle meines verletzten, und Metallplatten bis über meinen halben Oberschenkel. Ich starre darauf. Die Stellen, wo das Metall auf das Fleisch meines Oberschenkels und meiner Wade trifft, fühlen sich an, als wären sie mühelos miteinander verschmolzen, und die Ränder sind nur ganz leicht gerötet und geschwollen. Der Anblickt verschwimmt vor meinen Augen.
Tess’ Finger trommeln erwartungsvoll auf die Bettdecke und sie beißt sich auf ihre volle Oberlippe. »Und? Wie fühlt es sich an?«
»Wie … gar nichts. Es tut kein bisschen mehr weh.« Vorsichtig streiche ich mit dem Finger über das kühle Metall und versuche mich an das Gefühl der Fremdkörper, die nun Teil meines Beins sind, zu gewöhnen. »Das hat sie alles gemacht? Wann kann ich wieder laufen? Ist das wirklich so schnell verheilt?«
Tess scheint vor Stolz ein Stückchen zu wachsen. »Ich habe ihr dabei geholfen. In den nächsten zwölf Stunden solltest du dich noch nicht viel bewegen. Damit die Heilsalben richtig wirken können.« Sie grinst und um ihre Augen bilden sich die vertrauten Lachfältchen. »Das ist die Standardbehandlung für verletzte Soldaten von der Front. Ziemlich cool, oder? Bald sollte dein Bein wieder genauso gut funktionieren wie vorher, wenn nicht sogar noch besser. Die Ärztin ist in den Frontlazaretten ziemlich berühmt, aber sie macht zum Glück nebenher ein bisschen Schwarzarbeit. Sie hat mir auch noch gezeigt, wie ich Kaedes gebrochenen Arm richten kann, damit er schneller verheilt.«
Ich frage mich, wie viel die Patrioten wohl für meine Operation bezahlen mussten. Ich habe schon früher Soldaten mit Metallprothesen gesehen, angefangen von einem kleinen Stahlquadrat im Oberarm bis hin zu einem kompletten Bein aus Metall. Das kann keine billige Methode sein und dem Zustand meines Beins nach zu urteilen, hat die Ärztin spezielle, für das Militär produzierte Salben benutzt. Ich kann regelrecht spüren, wie kräftig mein Bein wieder sein wird, wenn es erst ganz verheilt ist – und wie viel schneller ich damit sein werde. Wie viel früher ich Eden werde finden können.
»Ja«, sage ich zu Tess. »Echt super.« Ich verdrehe ein wenig den Hals, um die Zimmertür sehen zu können, doch davon wird mir schwindelig. In meinem Kopf hämmert es wie verrückt und ich höre leise Stimmen vom anderen Ende des Flurs. »Was machen die anderen?«
Tess wirft ebenfalls einen Blick über ihre Schulter und sieht dann wieder mich an. »Sie besprechen den ersten Teil des Plans. Ich darf nicht dabei sein, darum bin ich hier bei dir.« Sie hilft mir dabei, mich wieder hinzulegen. Dann breitet sich unbehagliches Schweigen zwischen uns aus. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, wie verändert Tess plötzlich wirkt. Sie bemerkt meinen bewundernden Blick, zögert einen Moment und lächelt mich dann unsicher an.
»Wenn das alles hier vorbei ist, will ich, dass du mit mir in die Kolonien kommst, okay?« Auf Tess’ Gesicht breitet sich ein Grinsen aus, dann streicht sie nervös mit einer Hand meine Bettdecke glatt, während ich weiterrede. »Wenn alles nach Plan verläuft und die Republik wirklich in sich zusammenbricht, will ich nicht, dass wir hier im Chaos feststecken. Eden, June, du und ich. Abgemacht, Cousine?«
Tess’ Begeisterung lässt ein wenig nach. Sie zögert. »Ich weiß nicht, Day«, erwidert sie und blickt wieder zur Tür.
»Warum? Hast du Angst vor
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