Legende der Angst
wir das weiter diskutieren, muß ich noch einmal betonen, daß die Tatsachen, daß hier Schüler krank geworden sind und Mary wild um sich geschossen hat, nichts mit dem Wasser oder dem Meteoriten zu tun haben. Wenn das der Fall wäre, müßten wir alle etwas abbekommen haben. Tatsächlich müßten Tausende von Menschen in den vergangenen hundert Jahren – seit der Gründung der Stadt – infiziert worden sein. Eigentlich sogar noch weit früher – vor uns waren die Indianer hier. Soweit ich weiß, hat ihnen das Wasser nicht geschadet.«
Angela erschauerte, ohne zu wissen, warum. Vielleicht war es nur der Gedanke, daß sie am Ufer eines Sees lebte, den etwas von einem weit entfernten Ort erschaffen hatte. Ihr fiel plötzlich ein, wie kalt das Wasser des Sees immer war – sogar im Sommer.
»Ich nehme an, du hast recht«, sagte sie abwesend.
4. Kapitel
Am Freitag abend sah Angela sich ein Footballspiel an. Die ganze Woche über hatte man beratschlagt, ob das Spiel im Gedenken an Todd und Kathy abgesagt werden sollte. Schließlich jedoch war man übereingekommen, es den beiden zu widmen, statt es ganz ausfallen zu lassen. Es war das erste Spiel des neuen Schuljahres, und Gegner war die Mannschaft der Balton High. Der Austragungsort war das Stadion in Balton, da die Point High noch über kein eigenes Stadion verfügte.
Angela hatte eine interessante Woche an der Schule hinter sich. Überall, wo sie hinkam, tuschelten andere hinter ihrem Rücken. Es gab zwei Gründe, wieso sie zu Ruhm gelangt war: Zum einen hatte sie dabei geholfen, Marys Amoklauf zu stoppen, und zum anderen war sie Marys beste Freundin. Sie nahm an, daß die eine Sache gut war und die andere schlecht, aber sie hatte keine Ahnung, ob man nun eher gut oder schlecht über sie redete. Tatsächlich hatte sie in dieser Woche nur mit sehr wenigen gesprochen. Da sie Jim Kline nirgendwo hatte entdecken können, war sie zu dem Schluß gelangt, daß sein Bein ihm doch mehr zu schaffen machte, als er hatte zugeben wollen.
Am Freitag jedoch lief er als Quarterback auf.
Angela war ohne Kevin zu dem Spiel gegangen, und sie fühlte sich deswegen schuldig. Als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm ins Kino gehen wolle, hatte sie geantwortet, sie würde lieber zu Hause bleiben. Es bestand nicht die geringste Gefahr, ihm bei dem Spiel zu begegnen, da er Footballspiele genausowenig mochte wie Footballspieler.
Angela hatte hoch oben in den Rängen Platz genommen, nachdem sie sich zwei Hot dogs und eine große Cola besorgt hatte. Nach wie vor dachte sie viel über Mary nach, besonders, seit sie sich am Donnerstag kurz mit deren Eltern unterhalten hatte – ein schwieriges Unterfangen. Es sah nicht so aus, als hätte Mary sich von ihrer Krankheit – oder was immer es sein mochte – erholt. Hi, wie geht’s Ihrer Tochter? Wie ist die Zelle, in der sie einsitzt? Gefällt ihr ihr gestreifter Pyjama? Ich habe gehört, ihr Zellengenosse ist ein Sittentäter? Ja, es ist wirklich hart, wenn der Wärter sie nicht einmal ein R-Gespräch führen läßt Angela hatte nicht gewußt, was sie hatte sagen sollen. Wie es allerdings schien, hatte es noch keine Verhandlung darüber gegeben, ob Mary auf Kaution freikommen würde. Ihre Eltern hatten keine Ahnung, warum das so lange auf sich warten ließ. Sie hatten so traurig geklungen, daß es Angela schier das Herz gebrochen hatte.
Das Spiel fing an. Angela versuchte, ihre trüben Gedanken beiseite zu schieben und den Abend zu genießen. Normalerweise sah sie gern beim Football zu. Sie mochte eigentlich fast alle Sportarten und hatte darauf gehofft, sich beim Volleyball- oder Basketballteam anmelden zu können. Es hatte sie enttäuscht, zu hören, daß es bisher weder das eine noch das andere gab und wahrscheinlich auch nicht geben würde, bis sie ihren Abschluß gemacht hätte.
Auf den ersten Blick war klar, daß das Team der Balton High haushoher Favorit war. Als beide Mannschaften sich zum Kickoff aufstellten, entging es Angela nicht, um wie vieles größer die Spieler aus Balton waren. Der Grund dafür war leicht ersichtlich. An der Balton High gab es fünfmal so viele Schüler wie an der Point High. Fünfmal so viele Kandidaten, unter denen man wählen konnte. Angela stand auf und applaudierte, als trotzdem ihre Mannschaft den Ball ergatterte. Sie hoffte, daß es ein gutes Spiel werden würde. Das Team brachte den Ball bis an die Zwanzig-Yards-Linie, und die Offensivreihe kam aufs Feld, angeführt von Jim
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