Legende der Angst
plötzlich, wie eine warme, klebrige Flüssigkeit auf ihrem Bauch verteilt wurde, als er sie näher an sich zog. Es war vollkommen dumm von ihr gewesen, aber für eine Weile hatte sie ganz vergessen, daß er blutete. Abrupt setzte sie sich auf und stieß Jim von sich.
»Du beschmierst mich über und über mit Blut!« schrie sie.
»Das ist schon okay.«
»Nein, das ist nicht okay.« Ihre Bluse war offen, Jim hatte einige der Knöpfe abgerissen, in seiner Gier, an ihre Brüste zu gelangen. Überall auf der Bluse war Blut ebenso auf ihrem Bauch und ihrer Brust. Sie konnte kaum glauben, daß er all dieses Blut in der Zeit vergossen haben sollte, in der sie sich doch nur ein einziges Mal geküßt hatten. Sie fragte sich, wie lange dieser Kuß gedauert haben mochte. »Du hast uns beide von oben bis unten besudelt«, beschwerte sie sich.
Er lachte. »Ich werde alles wieder abwaschen.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete sie und schwieg dann eine Weile. »Was ist mit deinem Arm?«
Er hielt ihn hoch ins Mondlicht – völlig sorg- und mühelos –, und sie sah überall nur Blut, sogar noch mehr als wenige Minuten zuvor. »Es hat nicht den Anschein, als ob er gleich abfallen würde«, sagte er.
»Jim! Du blutest ziemlich stark. Vielleicht ist eine Schlagader verletzt.«
»Deshalb wollte ich ja mein Hemd in Streifen reißen«, entgegnete er.
»Das einzige, was du reißen wolltest, waren meine Kleider, und zwar wolltest du sie mir vom Leib reißen.«
Er packte sie wieder. »Stimmt.«
Sie schob ihn von sich. »Wir müssen zusehen, daß wir die Blutung stoppen.«
Er grinste wie ein Wolf. »Warum hauchst du nicht einen Kuß darauf, auf daß es besser werde?« Er hob den Arm vor ihr Gesicht. »Nur einmal kurz lecken.«
Sie wandte sich ab. »Du machst mich ganz krank. Wo ist dein Hemd? Ich werde es dir um den Arm binden – ohne es zu zerreißen. Laß uns die Wunde lieber nicht in dem Wasser waschen. Dann blutet es nur um so mehr.«
»Wie du meinst, Angie.«
Sie knotete das Hemd genau über der Stelle zusammen, wo sie den Schnitt vermutete. Jim stöhnte auf, sagte jedoch nichts. Sie setzte sich hin, um zu beobachten, ob die Blutung nachließ. Wie es ihr schien, war das der Fall. Ihre Hände und ihre ganze Kleidung waren zu diesem Zeitpunkt schon mit Blut besudelt.
»Es wird besser«, sagte sie und machte Anstalten aufzustehen. »Laß uns gehen.«
»In einer Minute.«
»Jim.«
Er nahm sie erneut in die Arme und küßte sie. Angela genoß es, Jims Lippen auf ihrem Mund zu spüren. Er schmeckte großartig, wie das Steak, das er zu Abend gegessen hatte. Dieses rohe Steak.
Angie, Liebes, was du da schmeckst, ist wahrscheinlich Blut!
Dieser Gedanke reichte aus, um sie abzukühlen. Schließlich gelang es ihr auch, sich von ihm loszumachen und auf die Füße zu springen, bevor er sie wieder küssen konnte.
»Wir gehen jetzt zurück«, sagte sie.
Er sah zu ihr auf und schenkte ihr das Lächeln eines kleinen Jungen. »Jetzt schon?«
»Ja.« Sie reichte ihm die Hand. »Bevor die Sonne aufgeht.«
Er küßte sie noch einmal, als sie ihm neben seinem Wagen gute Nacht sagte. Er wollte nicht, daß sie ihn zu einem Arzt fuhr, und behauptete, sein Arm wäre in Ordnung. Er berührte ihre rechte Brust unter ihrem BH, als er sie zum letztenmal küßte. Sie konnte kaum glauben, daß sie es zuließ. Mary hatte gesagt, er sei ein Monster, na fein.
Ein verträumter Gedanke waberte Angela durch den Kopf, als er sie erneut berührte.
Vielleicht ist er wirklich eine Art von Monster.
Angela fand sich in ihrem Bett wieder, allein unter der Decke. Oder doch nicht allein? Merkwürdigerweise hatte sie das Gefühl, in Begleitung eines anderen Wesens durch eine fremde Welt zu schweben.
Die Fremde Welt war lebendig. Sie war es schon seit Billionen von Jahren gewesen, seit Anbeginn der Zeiten. Natürlich vermochte sich nichts und niemand, wie fremd auch immer, daran zu erinnern, was das Wort tot bedeutete. Aus irgendeinem Grund glaubte die Fremde Welt, unsterblich zu sein. Leben drängte sich in jeden Winkel, brachte sie auf seine ganz bestimmte Art und Weise um, verspeiste sie, und verlieh ihr so ewiges Leben, indem beide eins wurden. Die Fremde Welt dauerte fort und fort, und nichts, so glaubte sie, würde ihr je den Untergang bringen können.
Die Fremde Welt war immer hungrig.
Und am liebsten waren ihr Besucher, an denen sie ihren Hunger stillen konnte.
Diese waren eine so leichte Beute.
Angela fühlte sich wie eine
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