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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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Antwort auf diese Frage bereits zu kennen. Jims Antwort ließ sie sich nur noch elender fühlen.
    »Für dich«, sagte Jim.
    Angela packte Kevin am Arm und zerrte ihn in Richtung Tür. »Verschwinde von hier. Wir haben keine Party, und du bist nicht eingeladen. Ich habe es satt, daß du mich ständig anbaggerst. Hau ab und geh einer anderen auf die Nerven.«
    »Halt«, ließ Jim sich vernehmen.
    »Ja, halt mal«, wiederholte Kevin und riß sich los. Aber er wurde langsam mißtrauisch – Angela konnte es ihm vom Gesicht ablesen –, als Jim sich zwischen sie schob, sie von Kevin trennte. Angela hatte den ganzen Tag über bemerkt, wie ihre Kräfte auf unnatürliche Weise zugenommen hatten, aber sie war noch weit davon entfernt, Jim die Stirn bieten zu können. Er hatte sich drohend vor Kevin aufgebaut, der sich unwillkürlich duckte, um dann aber zu versuchen, tapfer zu sein. Spielerisch boxte er Jim gegen die Brust. »Was ist los?« fragte er. »Hast du heute noch keinen kleinen Jungen verschlungen?«
    »Noch nicht«, erwiderte Jim. Er hob die rechte Hand und schlug Kevin, versetzte ihm einen harten Schlag an den Kopf. Kevin hatte keine Chance zu reagieren. Er krachte gegen die Wand und sackte dann auf den Boden, bewußtlos. Jim drehte sich zu Angela um, die vor Entsetzen wie gelähmt war.
    »Hast du heute schon etwas gegessen?« fragte Jim.
    Angela rannte. Sie wußte nicht, wohin sie lief, und deshalb kam sie auch nicht weit. Einer der anderen stellte ihr ein Bein, und sie stürzte zu Boden. Wieder auf den Knien und bereit, einen zweiten Fluchtversuch zu unternehmen, traf sie etwas hart und schmerzhaft am Kopf. Wie Kevin wurde sie gegen die Wand geschleudert und sackte dann zu Boden. Allerdings verlor sie nicht gleich das Bewußtsein. Sie rollte sich auf den Rücken und sah, daß sie sich um sie versammelt hatten; riesige Gestalten aus einem Horrorwachsfigurenkabinett. Klebrige, warme Flüssigkeit rann ihr über Schläfe und Wange. Jim kniete nieder und betastete ihren Kopf. Als er seine Finger zurückzog, waren sie rot. Er führte sie an seine Lippen, kostete davon.
    »Fast soweit«, sagte er.
    Angela wurde ohnmächtig.
     
     
    Kane, der Leichenbestatter, traf sich am Hintereingang seines Geschäfts mit Lieutenant Nguyen. Kane hat mehr Ähnlichkeit mit einer Leiche als mit einem lebendigen Menschen, dachte Nguyen. Der Mann war schon älter, hatte weißes Haar, ein unnatürlich weiches, rosafarbenes Gesicht – er hatte eine dicke Schicht Make-up aufgelegt und roch stark nach Eau de Cologne. Besser als Einbalsamierungsflüssigkeit, dachte Nguyen. Er hatte große, wäßrige, blaßblaue Augen; es hatte fast den Anschein, als seien sie aus Glas. Nguyen verstand nicht, wie jemand sich dazu entschließen konnte, Leichenbestatter zu werden. Er nahm jedoch an, daß es gut war, daß manche es eben doch taten.
    »Ich bin ja so froh, daß Sie kommen konnten«, sagte Kane und streckte beide Hände vor, um Nguyens Rechte zu ergreifen und zu schütteln. Nguyen hatte wenige Minuten zuvor bei ihm angerufen und gesagt, er sei auf dem Weg. Er war allein, weil er Williams nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern geschickt hatte. Er hatte nicht vor, an diesem Wochenende erneut einen seiner Männer zu verlieren.
    »Kein Problem«, entgegnete Nguyen und betrat den Arbeitsraum des Mannes. Zwei Edelstahltische standen unter Lampen, die hartes, weißes Licht verströmten. Auf dem hinteren lagen die sterblichen Überreste einer älteren Frau.
    Sie trug ein langes weißes Hochzeitskleid, und ihre Füße steckten in rubinroten Schuhen. Kane war offensichtlich gerade dabei gewesen, sie zu schminken, als Nguyen an der Tür geklopft hatte. Kane führte ihn an der Frau vorbei.
    »Das ist Mrs. Bevin«, erklärte Kane. »Sie hat ihrem Mann gelobt, daß sie ihre Hochzeit noch einmal inszenieren würden, wenn sie sich dereinst im Himmel wiedersehen.«
    »Und ihr Mann ist damit einverstanden?« fragte Nguyen und deutete auf das Kleid.
    »Keine Ahnung. Ihr Mann ist tot. Er ist schon vor vielen Jahren gestorben.«
    »Ich verstehe«, sagte Nguyen. »Was wollten Sie mir zeigen?«
    »Das hier.« Kane deutete auf zwei Metallbehälter, die auf einem hüfthohen Tisch standen. Sie waren zylindrisch geformt, beide gut einen Meter hoch und hatten etwa dreißig Zentimeter Durchmesser. Noch bevor Kane den Deckel des rechten Behälters ganz geöffnet hatte, stieg Nguyen ein abstoßender Geruch in die Nase. Er hatte diesen Gestank noch nie in seinem Leben

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