Legion der Morgenroete
Runenstab mit nach Europa, um dort das Geschick der Erde zu entscheiden."
„Nach Europa! Ich glaube, er könnte überhaupt nicht von seinem Platz bewegt werden."
„Nicht von gewöhnlichen Sterblichen. Doch Ihr, als der Auserwählte des Runenstabs, dürft ihn nehmen." Der Junge streckte ihn Hawkmoon entgegen. „Nehmt ihn. Verteidigt ihn. Und betet, daß er Euch verteidigt."
„Und wie sollen wir ihn benutzen?" erkundigte sich d'Averc.
„Als eure Standarte. Alle Menschen sollen wissen, daß der Runenstab mit euch reitet - daß der Runenstab auf eurer Seite ist. Sagt ihnen, daß Baron Meliadus es gewesen ist, der gewagt hat, auf den Runenstab zu schwören, und der dadurch die Ereignisse auslöste, die schließlich einen der beiden Gegenspieler völlig vernichten werden. Was immer auch geschieht, es wird endgültig sein. Tragt den Kampf nach Granbretanien, wenn ihr es könnt, oder sterbt bei dem Versuch. Die letzte große Schlacht zwischen Meliadus und Hawkmoon wird bald geschlagen werden, und der Runenstab wird darüber wachen!"
Hawkmoon nahm den Stab sprachlos entgegen. Er fühlte sich kalt, ungemein schwer und leblos an, obgleich er immer noch die farbigen Lichtmuster ausstrahlte.
„Steck ihn in dein Hemd oder umwickle ihn mit Stoff", riet ihm der Junge, „dann wird niemand die Kräfte sehen, die den Runenstab umgeben, bis du willst, daß man sie bemerkt."
„Danke", murmelte Hawkmoon.
„Die Großen Guten werden euch helfen, nach Hause zu kommen. Lebt wohl, Hawkmoon."
„Lebt wohl? Wohin wirst du denn gehen?"
„Wohin ich gehöre."
Und plötzlich veränderte der Junge sich wieder, zerfloß zu einem Strahl goldenen Lichts, der jedoch noch vage menschliche Form verriet, und verschwand im Runenstab. Sofort fühlte er sich warm und leicht und lebendig in Hawkmoons Hand an. Mit einem geheimen Schauder steckte der Herzog ihn unter sein Hemd.
Als sie aus der Halle schritten, bemerkte d'Averc, daß Orland Fank immer noch leise weinte.
„Was macht Euch solchen Kummer, Fank?" fragte er. „Ist es die Trauer um Euren Bruder?"
„Ja - aber noch größer ist die um meinen Sohn."
„Euren Sohn?" Was ist mit ihm?"
Orland Fank deutete mit dem Daumen auf Hawkmoon, der ihnen in Gedanken versunken folgte. „Er hat ihn."
„Was soll das heißen?"
Fank seufzte. „Ich weiß, es muß sein. Aber trotzdem, ich bin ein Mensch, ich darf weinen. Ich spreche von Jehamia Cohnalias."
„Der Junge? Der Geist des Runenstabs?"
„Ja. Er war mein Sohn - oder ich selbst. Ich habe es nie ganz verstanden."
ZWEITES BUCH
Und so steht es geschrieben: „Jene, die beim Runenstab schwören, müssen - ob nun im Guten oder Bösen - die Konsequenzen des festgesetzten Musters der Bestimmung tragen, das sie durch ihren Schwur in Bewegung setzten." Baron Meliadus von Kroiden hatte einen solchen Eid geleistet, hatte allen auf Burg Brass Rache geschworen, hatte geschworen, daß Yisselda, Graf Brass' Tochter, sein werden würde. An diesem Tag, vor vielen Monaten, hatte er das Muster des Geschicks festgelegt. Ein Muster, das ihn in seltsame zerstörerische Ränke verwickelte; das Dorian Hawkmoon in unheimliche verwegene Abenteuer an fernen Orten stürzte; und das sich nun seiner schrecklichen Vollendung näherte.
-Die hohe Geschichte des Runenstabs-
1. VERSCHWÖRUNG
Von der Veranda hatte man einen guten Blick auf den blutroten Fluß Tayme, der sich zwischen den düsteren Türmen durch das Herz Londras wand.
Auf einem der goldenen Stühle saß eine Frau in einer Reihermaske aus Silberfiligran, und auf der anderen Tischseite, ihr gegenüber, ein Mann mit einer schweren schwarzen Wolfsmaske, der durch einen goldenen Trinkhalm den Wein aus dem Kelch vor ihm emporsaugte. Die Frau starrte blicklos über den blutroten Fluß, dessen eigenartige Farbe Abwässern besonderer Art zuzuschreiben war.
„Du stehst selbst unter leichtem Verdacht, Flana. König Huon äußerte die Ansicht, daß möglicherweise du etwas mit dem seltsamen Irrsinn zu tun haben könntest, der die Wachen der Asiakommunisten ausgerechnet in jener Nacht befiel, als die beiden Botschafter flohen." Baron Meliadus blickte Gräfin Flana erwartungsvoll an, aber sie äußerte sich nicht, ja schien ihn nicht einmal zu hören.
„Mir liegt das Wohl des Imperiums am Herzen. Aber die gegenwärtige Situation auf dem Hof ist zersetzend. Ich habe nichts gegen Exzentrizität, im Gegenteil, ich bin schließlich ein echter Sohn Granbretaniens, aber es besteht ein Unterschied zwischen
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